100 Jahre Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein: Interview mit Generalsekretär Urs Weber


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Artikel, 17.09.2021

Seit 100 Jahren unterstützt die Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein (HKSÖL) die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den drei Ländern. Die Beziehungen zwischen Bern und Wien sind eine echte Erfolgsgeschichte auf ganzer Linie. Für die Beziehungspflege ist Urs Weber, Generalsekretär der HKSÖL, verantwortlich. Wir haben ihn getroffen und gefragt, wie sich das gute Verhältnis zwischen Österreich und der Schweiz entwickelt hat, was die Herausforderungen sind und wie es letztendlich gelingt, eine so innige Partnerschaft auf die Jahre hinweg aufrecht zu erhalten. 

Urs Weber
Urs Weber © Schweizer Gesellschaft Wien

Lieber Urs, die Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein HKSÖL feiert heuer ihr 100jähriges Bestehen. Wie werdet ihr das Jubiläum begehen?Anlässlich der bevorstehenden 100 Jahr-Feier der guten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Schweiz, Österreich und Liechtenstein, initiierten wir eine Testimonial-Werbekampagne für «unseren Verband». Dabei wurden die Direktionsräte der Handelskammer vor die Kamera geholt und um Statements zur Wichtigkeit der Allianz der drei wirtschaftlichen Partner Schweiz, Österreich und Liechtenstein gebeten. Des Weiteren haben wir zahlreiche Veranstaltungen zur Netzwerkschmiede organisiert.

Du wirst sicherlich mit grossem Stolz auf die 100jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken. Seit 1921 unterstützt die HKSÖL die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und der Schweiz. Wie hat sich die HKSÖL über all die Jahre entwickelt?
Als am 5. Dezember 1921 die Schweizer Handelskammer in Wien gegründet wurde, hätte wohl niemand erwartet, wie stark sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern entwickeln würden. Selbst im 2. Weltkrieg wurde die Schweizer Handelskammer nicht liquidiert und leistete nach Kriegsende sogar als einzige ausländische Handelsvertretung in Österreich ihren Beitrag zur Normalisierung und zum Wiederaufbau der multilateralen Handelsbeziehungen. Mit der Aufnahme Liechtensteins im Jahr 2002 und der Umbenennung des Vereins in «Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein» – kurz HKSÖL – wird die Erfolgsgeschichte seit 2009 unter gemeinsamer Flagge fortgeschrieben.

Wenn man heute die beiden Volkswirtschaften Österreich und Schweiz betrachtet, welche Verbindungen bestehen untereinander?
Österreich exportierte im Jahr 2020 Waren im Wert von 141,93 Mrd. Euro. An vierter Stelle der wichtigsten Exportländer liegt - nach Deutschland (43,33 Mrd. Euro), den USA (9,30 Mrd. Euro) und Italien (8,84 Mrd. Euro) - die Schweiz mit Warenexporten von 7,48 Mrd. Euro. Die Marke «Made in Austria» wird auch in der Schweiz äusserst geschätzt. Betrachtet man den Pro-Kopf-Verbrauch beziehen die Schweizer mehr österreichische Waren und Dienstleistungen als alle anderen Länder. Die wichtigsten Exportgüter Österreichs im bilateralen Handel mit der Schweiz sind Chemikalien, Rohstoffe für die Pharmaindustrie sowie Maschinen, Anlagen, Fahrzeuge, Metalle, Holz- und Papierwaren sowie Möbel. Die beiden Volkswirtschaften sind wirklich sehr eng miteinander verknüpft.

«Made in Austria» wird also im Austausch von Waren geschätzt. Wie sieht es mit Dienstleistungen aus?
Noch bedeutender für Österreich ist die Schweiz im Dienstleistungssektor. Laut einer Statistik der österreichischen Nationalbank sind die Eidgenossen sogar der wichtigste Absatzmarkt für österreichische Dienstleistungen ausserhalb der EU, bzw. das zweitwichtigste Land in absoluten Zahlen nach Deutschland. Den grössten Teil der österreichischen Dienstleistungsexporte in die Schweiz bilden mit 24% unternehmensnahe Dienstleistungen, wie z.B. Forschung und Entwicklung, Rechts- und Wirtschaftsdienste oder Werbung und Marktforschung.

Der Reiseverkehr (Geschäfts- und Urlaubsreisen), der die wichtigste Dienstleitungsexportbranche ausmacht, betrug vor der Corona-Krise 2019 noch über ein Viertel (27,5% aller Dienstleistungsexporte). Diese Branche musste coronabedingt Einbussen hinnehmen und machte im Jahr 2020 21,2% aller Dienstleistungsexporte mit der Schweiz aus.

Dem Engagement der HKSÖL ist es auch zu verdanken, dass sich zahlreiche Schweizer Unternehmen in Österreich angesiedelt haben. Welche Rolle spielt die Schweiz als Arbeitgeber in Österreich?
Auch als Arbeitgeber nehmen Schweizer Unternehmen hierzulande eine wichtige Rolle ein. So lag der Gesamtbestand an Investitionen von Schweizer Firmen Ende 2019 bei 11,8 Mrd. Euro. 1.335 Schweizer Firmen (Statistik Austria Auslandsunternehmensbericht 2018) beschäftigen mehr als 65.000 Personen in Österreich. Auch die österreichischen Direktinvestitionen in der Schweiz haben seit 2000 stark zugenommen und betrugen Ende 2019 10,2 Milliarden CHF. Ende 2018 fanden hier knapp 13.800 Personen eine Beschäftigung.

Wenn ich also als Schweizer Unternehmer in Richtung Österreich expandieren will, oder mit meiner österreichischen Firma in der Schweiz Fuss fassen möchte, wie könnte mich die HKSÖL unterstützen?
Heute ist die HKSÖL der Dienstleister schlechthin für Unternehmen, die in der Region Schweiz-Österreich-Liechtenstein agieren. Die Services der Kammer reichen von Matchmaking über die Unterstützung und aktive Hilfe bei steuerlichen und anderen Finanzthemen bis hin zu punktgenauer Adresssuche.

Die Vernetzung ist eine essentielle Dienstleistung, die die HKSÖL anbietet. Dieses Vertrauen haben wir uns im Lauf der Zeit erworben. Heute, wo man Zielgruppen fein abgestimmt ansprechen kann, kann man diesen «Goldstandard» beim Vertrauen nutzen. Das ist für uns aber auch eine Verpflichtung: Wir vernetzen nicht ohne Recherche, sondern überzeugen uns selbst von der Qualität der Kontakte, die wir bieten können – erst dann geben wir Empfehlungen ab.

Neben fachlicher Information sorgt die HKSÖL mit ca. 20 Veranstaltungen im Jahr dafür, dass auch die persönlichen Beziehungen vertieft werden können. Die Bandbreite dieser Events reicht von der hochkarätig und international besetzten «Top Speakers Lounge» mit mehr als über 100 Teilnehmern bis hin zu den sehr exklusiven «Friends 4 Friends»-Racletteabenden. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die persönliche Kommunikation ist. Unsere Teilnehmer können ihre potenziellen Partner oder Kunden in einem entspannten Rahmen ansprechen und sich bei einem guten Glas Wein oder beim Anstellen um einen Teller köstliches Raclette austauschen.

Du bist auch der Chef von Schweiz Tourismus in Österreich. Selbst während der Pandemie sind die Schweizerinnen und Schweizer der Tourismusdestination Österreich treu geblieben. Wie sah es umgekehrt aus? Konnten die österreichischen Tourismusströme in Richtung Schweiz aufrecht erhalten bleiben oder ausgebaut werden?
Die Nächtigungen sind im vergangenen Corona-Jahr auch in die andere Richtung – heisst: Österreicher, die in der Schweiz Urlaub machen, zurückgegangen – allerdings von einem im internationalen Vergleich recht überschaubaren Niveau: Österreichische Übernachtungen machen insgesamt etwa 1,4% aller Übernachtungen aus.

Österreich ist im Bereich Tourismus für die Schweiz ein kleiner, aber auch schöner Markt: Gäste aus dem östlichen Nachbarland der Schweiz geben fast 50% pro Kopf am Tag in der Schweiz aus als z.B. deutsche Gäste.

Ein anderer, meist unbekannter Punkt ist, dass einige Unternehmen, die in Österreich ihren Sitz haben, nicht nur für das Land hier wichtig sind – sondern auch für Deutschland und die Schweiz: z.B. «produziert» der Kitzbühler Veranstalter Eurotours die Reisen von Aldi Deutschland und Aldi Swiss Tours (sowie Hofer Reisen): in Summe machte dies letztes Jahr 211.000 Übernachtungen in der Schweiz aus: ein auch im internationalen Vergleich enormes Aufkommen!

Darüber hinaus gibt es auch Medien, die ex Österreich für den ganzen DACH-Raum wichtig sind: ein Raum, der insgesamt über 60% der Nächtigungen in der Schweiz verantwortlich ist: beispielsweise das Falstaff Magazin, oder aber das Kundenmagazin von Diners Club.

Pandemiebedingt wurde der Tourismus vor neue Herausforderungen gestellt. Wie hat Schweiz Tourismus auf die neue Situation reagiert? Wie konnte man sich an die neuen Bedürfnisse der Reisenden bestmöglich anpassen?
Die Schweiz selbst litt natürlich ebenfalls – und stark – unter den coronabedingten Einbrüchen. Allerdings profitiert die Schweiz sehr von ihrem Image als sichere, saubere Destination: das Gefühl im Hinterkopf, dass man selbst im Fall einer Erkrankung erstklassige medizinische Versorgung geniesst, reduziert die Angst vor Schweiz-Reisen deutlich.

Ein weiteren Vorteil hat uns nicht nur 2020, sondern generell langfristig geholfen: zwischen 45% und etwas über 50% der Übernachtungen kommen aus der Schweiz selbst! In Österreich selbst sind dies «nur» etwas mehr als ein Viertel, das Österreicher in Österreich übernachten. Das macht uns in Krisen unterschiedlicher Art sicher deutlich resilienter.

Und zum Abschluss noch etwas Persönliches: Niemand ist wahrscheinlich kompetenter als du, wenn es um die Frage geht, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen den Österreichern und den Schweizern gibt. Was ist dir diesbezüglich aufgefallen?
Nachdem ich unterdessen mehr als zwei Jahrzehnte in Österreich wohne, habe ich mir dazu tatsächlich bereits eine ganze Menge an Gedanken gemacht.
Eine der wichtigsten Unterschiede ist aus meiner Sicht das über Jahrhunderte gewachsene politische System und Verständnis, die Konkordanz, die auch in der Wirtschaft grosse Bedeutung hat: Der Schweizer hat das Gefühl, dass die Schweiz auch ihm gehört – weshalb bei guter Erklärung auch Entscheidungen wie «nein, wir bleiben bei vier statt sechs Wochen Urlaub» oder von der Mehrzahl der Schweizer akzeptierte Steuererhöhungen mitgetragen werden. Beides wäre in Österreich undenkbar. Bei allem Patriotismus: aus meiner Sicht besteht in Österreich die allgemeine Sicht, dass «ganz gleich, ob wir eine rote / schwarze / blaue Regierung haben: irgendwann fährt jede Regierung das Land an die Wand. Aber mir geht’s ja noch einigermassen gut». In Österreich gibt’s deshalb auch eine im Vergleich zu den anderen OECD-Länder eine höhere Lebenszufriedenheit – beinahe so hoch wie in der Schweiz.

Vielen Dank, lieber Urs, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Wir wünschen dir alles Gute und deiner Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein gratulieren wir herzlich zum 100. Jubiläum!

Handelskammer Schweiz - Österreich - Liechtenstein HKSÖL
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