Die junge Generation im Nahen Osten – zwischen Herausforderungen und neuen Perspektiven

Zurück von einer gemeinsamen Reise nach Israel und dem Besetzten Palästinensischen Gebiet teilen DEZA-Direktorin Patricia Danzi und Botschafter Simon Geissbühler, Leiter der Abteilung Frieden und Menschenrechte, ihre Eindrücke. Während der Reise haben sie sich mit der Umsetzung des Schweizer Kooperationsprogramms für den Nahen Osten 2021–2024 vertraut gemacht.

Patricia Danzi und Botschafter Simon Geissbühler teilen ihre Eindrücke aus dem Nahen Osten in ein Interview.

Was sind Ihre Eindrücke nach Ihrem fünftägigen Besuch im Nahen Osten?

Patricia Danzi (DZP): Auf dieser Reise haben mich die Begegnungen mit jungen Menschen, insbesondere Frauen, sehr beeindruckt. Ihre Energie und Kraft. Trotz dieser schwierigen Situation gelingt es ihnen, Perspektiven zu schaffen und sich für ihre Rechte einzusetzen, immer wieder aufzustehen und die Hoffnung nie aufzugeben.

Simon Geissbühler (GSO): Ob in Jerusalem, Gaza, Ramallah oder auf den Hügeln südlich von Hebron – auch ich war beeindruckt von dieser Energie. Aber ich spürte auch die Frustrationen dieser Menschen. Die Mauern, die sichtbaren und die in den Köpfen, sind nicht einfach Schicksal. Es ist wichtig, Zukunftsperspektiven zu haben.

Gibt es eine Begegnung, die Sie besonders beeindruckt hat?

DZP: Im Gazastreifen habe ich mich mit jungen Palästinenserinnen der Start-up-Szene ausgetauscht: Diese Begegnung erlaubte mir, ihr Potenzial zu entdecken und mich mit den Initiantinnen und Initianten über ihre innovativen Projekte auszutauschen. Eine junge Frau hat mit ihrem Kollegen eine automatisierte Reinigungsanlage für Solarpanels entwickelt, alles «made in Gaza». Hier gibt es nur wenige Stunden pro Tag Strom, darum sind Solaranlagen (oft auf Dächern) so essentiell. Der viele Staub und Sand reduzieren die Leistung aber stark. Mit dieser Erfindung können Arbeitsplätze geschaffen, gefährliche Kletterpartien reduziert und effizienter Strom produziert werden. Um das ganze wirtschaftliche Potenzial junger Leute im Gazastreifen zu deblockieren, braucht es selbstverständlich auch politische Lösungen und zum Teil ganz einfache Dinge, um die Digitalisierung vorwärts zu treiben, oder ein 3G-Netzwerk. Aus diesem Grund gibt es im Kooperationsprogramm für den Nahen Osten einen neuen Pfeiler: Schaffung von Perspektiven für junge Menschen und Innovationsförderung. 

Patricia Danzi zeigt auf eines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO, die auf einer kreisförmigen Tafel angeordnet sind.
Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen: Das 16. der nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO interessiert in Jerusalem, Gaza, Ramallah oder Süd-Hebron am meisten. © DEZA

Und was sieht dieses Kooperationsprogramm vor?

DZP: Durch die Bündelung der Anstrengungen der verschiedenen Bereiche kann das Kooperationsprogramm für den Nahen Osten sowohl auf die Folgen als auch auf die Ursachen des Konflikts einwirken. Die Schweiz deckt humanitäre Bedürfnisse und fördert die Entwicklung im Besetzten Palästinensischen Gebiet. Sie setzt sich auch für die Einhaltung des Völkerrechts durch alle Parteien und für den Dialog ein.

GSO: Die enge Zusammenarbeit – erstmals unter dem Dach des gemeinsamen Kooperationsprogramms – ermöglicht es der Schweiz, die verschiedenen Instrumente im sogenannten Triple Nexus einzusetzen. Das heisst, wir streben ein Zusammenwirken unserer Instrumente und Programme in den Bereichen Frieden, humanitäre Hilfe und Entwicklung an.

Was kann die Schweiz bewirken?

DZP: Die Schweiz spielt durch ihre neutrale Haltung, ihre humanitäre Tradition und ihre hohe Glaubwürdigkeit eine wichtige Rolle. Wir arbeiten im und für den Dialog, setzen uns für die humanitären Prinzipien ein und schaffen mit unseren Partnerorganisationen Perspektiven.

GSO: Die wiederkehrende Gewalteskalation deutet darauf hin, dass ein dauerhafter Frieden nur möglich ist, wenn die Parteien die eigentlichen Ursachen des Konflikts angehen. Das Engagement der Schweiz steht im Einklang mit der Vision des Sicherheitsrats von einer auf dem Völkerrecht basierenden Zweistaatenlösung; auch wenn oder gerade weil die Zweistaatenlösung leider nur noch wenig Unterstützung in der lokalen Bevölkerung erfährt.

Während die Schweiz ihre Tradition der Förderung des Völkerrechts und des Dialogs mit allen Parteien fortsetzt, legt sie den Fokus auf junge Menschen und Innovation. Wir haben gesehen, dass in der Bevölkerung viel Kraft steckt, und wir kennen ihre Erwartungen. Dieser Ansatz erscheint uns vielversprechend. Es braucht aber auch Eigeninitiative.

Kann durch Dialog eine friedliche Koexistenz zwischen den Bevölkerungsgruppen erreicht werden?

GSO: Ein einstündiger Spaziergang durch die Altstadt von Jerusalem zeigt, dass es dringend eine Lösung für eine friedliche Koexistenz braucht. Die dicht beieinander liegenden Vermächtnisse der einzelnen Gemeinschaften erinnern daran, dass dies möglich war. In dieser für den israelisch-palästinensischen Konflikt zentralen Stadt ist die Achtung der Anliegen beider Seiten von entscheidender Bedeutung. Die Dialogförderung ist denn auch ein Schwerpunkt des Pfeilers Friedensförderung und Menschenrechte im Kooperationsprogramm für den Nahen Osten.

Simon Geissbühler, von hinten, läuft hinter zwei anderen Einheimischen über die Hügel von Masafer Yatta.
Simon Geissbühler läuft durch die Hügel des Gouvernorats Hebron in Richtung Masafer Yatta. © EDA

Wie setzt die Schweiz ihre Aktivitäten um?

GSO: Zu den Stärken der Schweiz gehört die Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren, darunter multilaterale Organisationen, Hochschulen und staatliche Einrichtungen. Auf unserer Reise wurde uns erneut bewusst, welch wichtige Rolle die Zivilgesellschaft bei der Förderung der Menschenrechte und der Bereitstellung von Dienstleistungen für die Bevölkerung spielt. Wir stellen aber auch fest, dass ihr Spielraum immer kleiner wird. Dies beunruhigt uns. Wir verfolgen die Situation aufmerksam, auch die Schwächung der internationalen Präsenz nach der Beendigung der temporären internationalen Beobachtermission in Hebron (TIPH) und der Nichtverlängerung der Visa für das ausländische Personal des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte (UNHCHR).

DZP: Das EDA beurteilt seine Partnerschaften regelmässig. Dies spiegelt sich in den Schwerpunkten des Kooperationsprogramms wider, insbesondere mit den neuen Innovationspartnerschaften.

Patricia Danzi gibt zwei verschleierten jungen Frauen, die an einem Computer arbeiten, einige Tipps.
Durch die Digitalisierung und den Ausbau des 3G-Netzes kann das Wirtschaftspotenzial junger Menschen im Gazastreifen gefördert werden. © DEZA

Und was tut die Schweiz nebst diesen Partnerschaften?

GSO: Die Schweiz thematisiert die verschiedenen Herausforderungen des Konflikts regelmässig bilateral und in multilateralen Foren. Sie hat vor Kurzem auch einen Sonderbotschafter für die Region Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA) ernannt.

Wie sehen die Zukunftsperspektiven vor diesem Hintergrund aus?

GSO: Alle unsere Gesprächspartner betonen, wie wichtig die Würde für alle ist. Wir rufen die Parteien regelmässig dazu auf, erneut einen glaubwürdigen Friedensprozess zu initiieren, und die Schweiz ist bereit, ihre guten Dienste anzubieten.

DZP: Unsere Partner inspirieren uns, aber auch unsere langjährigen Mitarbeitenden, die stolz darauf sind, für die Schweiz zu arbeiten, sowie viele motivierte, gebildete junge Menschen, die voller Hoffnung für ihre Familien sind. Entscheidend ist, einen Beitrag zur Schaffung von Perspektiven für die junge Generation zu leisten.

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