Laurent X. hat fünf Jahre als Polizeiexperte in Friedensförderungsmission gedient. Zwei Jahre in Côte d’Ivoire/Elfenbeinküste und drei Jahre in Liberia. Seine Erfahrungen waren in beruflicher und familiärer Hinsicht eine echte Herausforderung, gleichzeitig aber auch eine grosse Bereicherung. Eine Begegnung.
Fünf Jahre im Einsatz in der Republik Côte d‘Ivoire/Elfenbeinküste und in Liberia
Was war Ihre Motivation für einen CIVPOL-Einsatz im Ausland?
Ich wollte schon immer neue Horizonte und andere Kulturen entdecken. Ein Auslandeinsatz war eine gute Gelegenheit dafür. Ein Tourist wird in der Regel nur die Fassade eines Landes sehen. Einen Polizeieinsatz leisten bedeutet hingegen, eine sehr viel herbere und unverstellte Realität zu erleben. Ein CIVPOL-Experte muss dazu beitragen, das Image der lokalen Polizei zu verändern; sie soll als Dienstleisterin und nicht als repressive Kraft wahrgenommen werden. Bei unserer Arbeit tauchen wir in das lokale Leben, in das Leben der Polizei und der Zivilbevölkerung ein. Wir sind mit dem Alltag konfrontiert, mit Ungerechtigkeiten, mit dem Überlebenskampf und vielen anderen Problemen.
Was haben Sie für einen Gesamteindruck von Ihren Einsätzen?
Aussergewöhnlich
Es ist aussergewöhnlich, lokale, schlecht bezahlte Polizisten zu sehen, die Tag und Nacht arbeiten, mit unzureichenden Mitteln für die Kriminalitätsbekämpfung und Opferhilfe. Aussergewöhnlich ist auch, in ihren Augen die feste Entschlossenheit zu sehen, ihr Land zum Besseren zu verändern und ihren Kindern ein erträglicheres Leben zu bieten.
Spannend
Es ist spannend, mit wissensdurstigen und lernbegierigen Polizisten zu arbeiten, die Gerechtigkeit wollen – so unvollkommen sie auch sein mag. Wir waren in unvorstellbaren Quartieren. Wir haben wichtige Ermittlungen durchgeführt, wo nur die internationale Präsenz sicherstellt, dass unvoreingenommene Polizeiarbeit geleistet werden kann. Wir haben lokalen Polizisten geholfen, die Augen für das Unrecht zu öffnen. Wir haben ihnen klar gemacht, dass gewisse Situationen, die als normal betrachtet werden, weil sie so häufig vorkommen, nicht normal sind und geändert werden können; dass Veränderungen viel Energie und Opfer erfordern, aber keine Wunschträume sind.
Kräfteraubend
Die Missionen sind kräfteraubend. Wir arbeiten sieben Tage pro Woche, ohne eigentliche Arbeitszeiten, wir ermitteln in Mordfällen, bei Vergewaltigungen, Pädophilie, Raubüberfällen, Menschenhandel, Beschneidungen und in anderen Fällen. Wir sind bestrebt, möglichst umfassend und effizient zu arbeiten. Wir sensibilisieren die internationalen Polizeikräfte für die Situation und die Anliegen ihrer lokalen Kollegen. Unsere tägliche Beharrlichkeit soll beispielhaft sein für die ganze Bevölkerung, die sehr stark gelitten hat und eine aussergewöhnliche Widerstandskraft zeigt. Die Menschen müssen sich nun ihrer Vergangenheit stellen, damit sie sie überwinden und am Aufbau eines soliden Rechtsstaats mitwirken können.
Frustrierend
Es ist frustrierend, wenn man strafrechtliche Ermittlungen erst aufnehmen kann, wenn man überzeugen konnte, dass überhaupt eine Straftat vorliegt; das gilt namentlich im Fall von Beschneidungen oder Vergewaltigungen. Die Polizei bemüht sich, ihre Arbeit zu machen, aber die andern Dienststellen ziehen manchmal nicht mit. Es muss auch Kritik an der Arbeit der internationalen Gemeinschaft geübt werden.
Welchen Rat geben Sie einer Person, die einen Einsatz macht oder machen möchte?
Man muss aufgeschlossen und bereit sein, Unterschiede nicht unbedingt verstehen zu wollen, sie aber vorurteilsfrei zu akzeptieren. Man erlebt bei einem Einsatz viele Kulturschocks. Nicht nur innerhalb der Organisation, für die man arbeitet, sondern auch im Aufnahmeland. Um effizient arbeiten zu können, muss man die Unterschiede erkennen, verstehen und akzeptieren; nur so kann man innovative und spezifisch auf das Gastland bezogene Lösungsansätze vorschlagen.
Eine Auslandmission ist in familiärer Hinsicht schwierig. Es ist wichtig, mit seinen Liebsten die Folgen der räumlichen Distanz und der physischen Abwesenheit gründlich zu besprechen. Wichtig ist auch, dass man mit seinen Nächsten klärt, wie man im Fall von Problemen verfahren soll. Was tue ich, wenn während meiner Abwesenheit schlechte Nachrichten von zu Hause eintreffen? Ich war fast zwei Jahre in Liberia. Es gab nur drei Flüge pro Woche nach Europa. Ich musste mit meiner Familie absprechen, was im Fall eines Unglücks zu tun sei. Aufrichtigkeit ist sehr wichtig. Man darf nicht schweigen, um die Person im Einsatz zu schonen. Man muss ehrlich sein, damit rechtzeitig die richtigen Massnahmen getroffen werden können. Ich hatte beispielsweise mit meinen Eltern abgemacht, dass sie mir gesundheitliche Probleme nicht verschweigen durften, damit ich nötigenfalls so rasch als möglich hätte nach Hause fliegen können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für die psychische Verfassung. Wenn wir schon den Lauf der Dinge nicht ändern können, so können wir uns wenigstens vorbereiten, wie wir reagieren und handeln wollen.
Können sie uns eine Anekdote erzählen?
Die Lebensbedingungen in den Einsatzländern sind härter als in der Schweiz. Die Freizeit ist knapp, die Arbeit intensiv. Man muss gut auf seinen Lebensstil achten, um langfristig durchzuhalten. Das lokale Essen in der Elfenbeinküste und in Liberia ist hervorragend. Buschfleisch schmeckt sehr gut. Ich hatte Gelegenheit, Rohrratte – oder Stachelschwein –, Antilope und anderes zu essen. Entgegen der weit verbreiteten Ansicht bin ich vom Essen in den wenig ansprechenden lokalen Restaurants nie krank geworden. Nach dem Essen in einem piekfeinen internationalen Restaurant hingegen schon!
Was ist der Unterschied zwischen Ihrer Arbeit in der Schweiz und dem Einsatz im Ausland?
Der Auslandeinsatz ist ein anderer Job. Nicht wir machen die Arbeit, sondern wir beobachten und müssen sicherstellen, dass alles gemacht wird. Wir sind Mentoren, aber nichts zwingt die lokalen Polizisten, unsere Ratschläge zu befolgen. Wir müssen verhandeln, argumentieren, insistieren und Entschlossenheit zeigen, damit unsere lokalen Kollegen die Notwendigkeit für die Durchführung von Ermittlungsmassnahmen erkennen und verinnerlichen.
In Liberia gilt ein Polizist in der Regel mit fünf bis sieben Jahren Berufspraxis als erfahren. In der Schweiz gilt ein Polizist mit fünf Jahren Erfahrung gerade einmal als ausgebildet! Er würde nie Chef einer Mordkommission werden, wie das in Liberia der Fall sein kann.
Ich habe im Einsatz viele Fähigkeiten erworben, die ich mir in der Schweiz nie hätte aneignen können. Ich musste mich anpassen, mich auf ein Umfeld, System und ganz andere Leute einstellen. Ich kann nur sagen, dass ich in menschlicher Hinsicht enorm viel profitiert habe.
Ein Einsatz verläuft wie eine Karriere, allerdings in einem rasanten Tempo. Die meisten Polizisten stehen ein Jahr im Einsatz. Die Personalfluktuation ist ziemlich gross, so dass sich gute Beförderungsmöglichkeiten ergeben können.
Wie beurteilen Sie den Beitrag, den Sie mit Ihren Einsätzen für die Sicherheit der Schweiz leisten?
Zweifellos ist es für unser Land von Vorteil, wenn im Ausland qualifiziertes Personal im Einsatz steht. Die Probleme anderer Länder dürfen nicht deshalb ignoriert werden, weil die Länder weit weg von unserer schönen Schweiz liegen! Wenn sich Liberia entwickelt, mehr Wohlstand erreicht und seiner Bevölkerung eine bessere Ausbildung und Zukunft bieten kann, werden die Menschen eher bereit sein, in ihrem Land zu bleiben, statt ihr Glück anderswo, auch in der Schweiz, zu suchen. Es ist äusserst wichtig, sich in der internationalen Hilfe zu engagieren und dort, wo die Probleme sind, zu handeln, statt nichts zu tun und sie zu importieren. Ich habe in meinen Einsätzen abscheuliche Verbrechen gesehen. Ich halte es für unsere Pflicht, unsere Anstrengungen zu verdoppeln, damit diese Länder wieder Frieden und Stabilität finden.