«Die Fackel der Menschlichkeit im Krieg – über die Verbreitung einer Schweizer Tradition» - Rede von Bundesrat Didier Burkhalter

19.10.2012

Bern, 19. Oktober 2012 - Völkerrechtstag - Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
Sehr geehrte Damen und Herren Botschafter,
Sehr geehrter Herr Direktor,
Sehr geehrte Professorinnen und Professoren,
Meine Damen und Herren,

Das humanitäre Völkerrecht ist hoffnungsvoller Realismus. Und das ist beileibe nicht selbstverständlich. Denn es gibt den Ausspruch, der da lautet: „Den Krieg zu humanisieren – das ist, wie wenn man die Hölle humanisieren wollte.“ Dies sagte ein britischer Vertreter zu Beginn der Haager Konferenz von 1907, an der es darum ging, die Kriegsgesetze und  gebräuche verbindlich zu regeln. Einige Tage später verabschiedeten die 44 Teilnehmerstaaten eine internationale Übereinkunft mit dem Grundsatz, dass «die Kriegsparteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes haben». Die in Den Haag versammelten Nationen hielten es also für sinnvoll und möglich, den Krieg zu humanisieren.

Heute verfügen wir über ein breites Regelwerk, das vorwiegend auf humanitären Überlegungen beruht und das die Folgen bewaffneter Konflikte eindämmen und die Menschen schützen soll, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind. Bei diesem Regelwerk, das auch Kulturgüter und die Natur schützt, handelt es sich um das humanitäre Völkerrecht, das auch Kriegsvölkerrecht oder Kriegsrecht genannt wird. Dieses Recht wurde in den vergangenen Jahrzehnten substanziell weiterentwickelt. Fortschritte sind aber weiterhin möglich und notwendig, vor allem bei der Anwendung.

Der heutige Tag soll Gelegenheit bieten, über dieses Regelwerk zu diskutieren. Das humanitäre Völkerrecht ist aktueller denn je, denn in den bewaffneten Konflikten von heute ist die Zivilbevölkerung das Hauptopfer. Diese Konflikte werden immer komplexer, länger und intensiver. Mitarbeitende humanitärer Organisationen werden gezielt angegriffen, der Bedarf an humanitärer Hilfe nimmt zu, und häufig ist es sehr schwierig, Zugang zu den Konfliktgebieten zu erhalten. Die bewaffneten Konflikte in Libyen und Syrien, aber auch zahlreiche in Vergessenheit geratene Konflikte wie im Osten der Demokratischen Republik Kongo zeugen von dieser brennenden Aktualität.

Der alljährliche Völkerrechtstag bietet Gelegenheit, eine bestimmte Frage zu vertiefen. Das diesjährige Thema «Das humanitäre Völkerrecht oder das Bestreben, den Krieg zu humanisieren» soll uns dazu anregen, über dieses schöne und wichtige Ziel, vor allem aber über die Mittel zu dessen Umsetzung nachzudenken.

Denn die Idee, mit Rechtsnormen dafür zu sorgen, dass in einem Krieg gewisse Regeln eingehalten werden, ist weder abwegig noch naiv. Krieg ist ein gesellschaftliches und menschliches Phänomen, und für jedes Vorhaben von Menschen kann – muss aber nicht in jedem Fall! – ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden.

Dass Menschen sich bekriegen, ist eine traurige Realität. Ob aus Sicherheitsgründen, ob zur Eroberung von Ressourcen, Prestige, Macht oder neuen Gebieten: Der Mensch führt Kriege und wird dies wohl auch weiterhin tun. Seit 1945 soll es weltweit lediglich 26 Tage ohne Krieg gegeben haben. Im antiken Rom war der Janustempel geschlossen, wenn im Römischen Reich Frieden herrschte. In der heutigen Welt würden die Türen des Tempels seit Jahrzehnten praktisch ohne Unterbrechung offen stehen.

Krieg ist leider allgegenwärtig, und der Anspruch, mit Rechtsnormen ein Mindestmass an Menschlichkeit zu gewährleisten, scheint mir nicht mehr als logisch und «human». Der Anspruch deckt sich zudem mit den aussenpolitischen Grundsätzen der Schweiz. Unser Land engagiert sich für die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der einzelnen Länder, aber auch in den Beziehungen zwischen den Ländern. Die Schweiz wünscht sich sozusagen eine «rechtsstaatliche Welt».

Die Idee, dem Krieg Grenzen zu setzen, ist im Übrigen so alt wie der Krieg selber. Spuren solcher Grenzen finden sich in den meisten Zivilisationen, sei es in Form von Kodizes, Verträgen, religiösen Texten oder Gebräuchen. Die Grundgedanken, die das Fundament des humanitären Völkerrechts bilden, gehen auf die Ursprünge der Zivilisation zurück.


Das humanitäre Völkerrecht versucht somit, die Folgen bewaffneter Konflikte einzudämmen. Es beschränkt die Mittel und Methoden der Kriegsführung und schützt Personen, die nicht am Kriegsgeschehen beteiligt sind. Es verbietet unter anderem vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Untersagt sind auch Waffen mit unterschiedsloser Wirkung, beispielsweise chemische Waffen oder Streumunition. Schliesslich ist die absichtliche Zerstörung der natürlichen Umwelt verboten, ohne die sich eine Gesellschaft nicht entwickeln kann.

Kernstück des humanitären Völkerrechts ist der Grundsatz, wonach das einzige legitime Ziel für Staaten in einem Krieg darin besteht, die Streitkräfte des Gegners zu schwächen.

Das humanitäre Völkerrecht schafft somit ein Gleichgewicht zwischen der Kriegsführung – wir werden noch sehen, dass der Krieg selbst später «rechtswidrig» wurde – und dem Schutz der Zivilbevölkerung und deren Lebensgrundlagen.


Meine Damen und Herren,

Das humanitäre Völkerrecht ist in gewisser Weise ein Ausnahmerecht. Es regelt eine Situation, die in der Realität existiert, obwohl das Völkerrecht sie inzwischen eigentlich verbietet. In den Vereinten Nationen gab diese Frage in den ersten Jahren Anlass zu zahlreichen Diskussionen. Denn mit der Verabschiedung der UNO-Charta im Jahr 1945 hatten die Staaten sich verpflichtet, in ihren Beziehungen nie mehr Gewalt anzuwenden. Die Völkerrechtskommission der UNO entschied deshalb, das humanitäre Völkerrecht nicht auf die Agenda zu setzen. Sich mit diesem Rechtsgebiet auseinanderzusetzen, erschien ihr als Zeichen mangelnden Vertrauens in die Wirksamkeit der Mittel, die der UNO zur Friedenssicherung zur Verfügung standen.

Angesichts der Realität in der Welt setzte sich im Laufe der Zeit wieder eine pragmatischere Sichtweise durch. Und das humanitäre Völkerrecht hat auch heute noch seine Berechtigung in einer Welt, in der Kriege ganz einfach eine Tatsache sind.

Bundesrat Max Petitpierre, der im Namen der Schweiz die diplomatische Konferenz präsidierte, an der die vier Genfer Konventionen verabschiedet wurden, meinte dazu: «Unser grösster Wunsch wäre, dass es nie dazu kommt, dass diese vier Konventionen angewendet werden müssen». Er äusserte diesen Wunsch zu Recht. Genauso richtig war es aber, dass er die Erarbeitung dieser unabdingbaren Konventionen unterstützte. 

Der Rechtsrahmen, der den Einsatz von Gewalt verbietet, macht jedoch Fortschritte, und die Schweiz begrüsst die Idee, dass Personen, die Kriege beginnen, künftig beim Internationalen Strafgerichtshof angeklagt und bestraft werden können, wie dies 2010 an der Konferenz von Kampala beschlossen wurde. Im Übrigen ist es Aufgabe des Sicherheitsrats, militärische Massnahmen zu autorisieren. Angesichts der Bedeutung eines solchen Entscheids ist es wichtig, dass die Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats seiner grossen Verantwortung entsprechen. In diesem Zusammenhang steht auch die von der Schweiz erhobene Forderung an die Mitglieder des Sicherheitsrats, sich in denjenigen Situationen des Vetogebrauchs zu enthalten, in denen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begangen werden. 

Das Gewaltverbot der UNO war ein grosser völkerrechtlicher Fortschritt. Aber Angesichts der Realitäten des Kriegs braucht es beides. Das Friedensvölkerrecht der UNO – das den Krieg verbietet - und das humanitäre Völkerrecht – das den Krieg zähmen will. Friedens- und Kriegsrecht sind komplementär.
Diese pragmatische Sichtweise setzte sich im Laufe der Zeit durch. Und das humanitäre Völkerrecht hat heute seine volle Berechtigung in einer Welt, in der Kriege ganz einfach eine Realität sind.


Meine Damen und Herren,

Die Schweiz hat eine besondere Beziehung zum humanitären Völkerrecht. Die Schweiz als Staat, aber auch Schweizer als Bevölkerung waren treibende Kräfte bei der Formulierung und Weiterentwicklung dieses Rechts. Ein solcher Einfluss eines Staates auf einen Bereich des Völkerrechts ist relativ selten, und wir dürfen stolz sein auf die «Swissness» des humanitären Völkerrechts.

Die Schweiz hat alle diplomatischen Konferenzen einberufen, die zur Erarbeitung der Genfer Konventionen und ihrer drei Zusatzprotokolle führten. Aus diesem Grund werden die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zum Schutz von Personen auch als «Genfer Recht» bezeichnet.

Es ist allgemein bekannt, dass mit Henry Dunant ein Schweizer das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gründete, das seit 149 Jahren als Hüter des humanitären Völkerrechts wirkt. Das IKRK, dessen Name und Emblem direkt vom Schweizer Wappen inspiriert sind, ist die älteste humanitäre Organisation und Teil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, dem grössten humanitären Netzwerk der Welt. Dunant gab 1864 auch den Anstoss zur ersten Genfer Konvention.

Auch wenn die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen rechtlich gesehen keine besondere Verantwortung für das humanitäre Völkerrecht trägt, verleihen ihr verschiedene Aspekte eine spezielle Legitimität: ihre geschichtliche Rolle, ihre lange humanitäre Tradition, ihre Neutralität, ihr Verzicht auf Militärbündnisse sowie die Universalität ihrer Beziehungen.

Deshalb ist die Achtung, die Förderung und die Umsetzung des humanitären Völkerrechts ein fester Bestandteil der schweizerischen Aussenpolitik. Die Schweiz kommt damit ihrer Verpflichtung als Hohe Vertragspartei nach, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen.

Die Schweiz ruft falls nötig die Konfliktparteien dazu auf, ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem humanitären Völkerrecht wahrzunehmen, wie sie es derzeit – leider noch ohne Erfolg – in Syrien getan hat. Sie engagiert sich ausserdem in konkreten Fällen für eine bessere Einhaltung des Rechts. Im Sudan organisierte die Schweiz zum Beispiel Schulungen für humanitäres Völkerrecht. Zudem führt die Schweiz im besetzten palästinensischen Gebiet mit verschiedenen Akteuren einen Dialog zum humanitären Völkerrecht.

Sie unterstützt auch Partner, die in diesem Bereich tätig sind, wie zum Beispiel die NGO «Geneva Call», welche darauf achtet, dass nichtstaatliche Akteure ihren Verpflichtungen nachkommen. 


Die 31. internationale Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds fand im November 2011 in Genf statt. Dabei bekräftigten die Staaten, dass das humanitäre Völkerrecht weiterhin der richtige Rahmen ist, um das Verhalten der Parteien bei einem bewaffneten Konflikt zu regeln.

Doch dies zu bestätigen genügt nicht, denn das humanitäre Völkerrecht ist mit zahlreichen neuen Heraus¬forderungen konfrontiert. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang:
- neue Technologien,
- neue Waffen,
- Privatisierung des Kriegs,
- Verlagerung der Kriegsschauplätze in dicht bevölkerte Gebiete,
- schwieriger humanitärer Zugang,
- Gewalt gegen das medizinische und humanitäre Personal.

Wenn das humanitäre Völkerrecht seine Bedeutung und seine Wirkung behalten soll, muss die Flamme neu genährt werden. Es braucht qualitative Fortschritte, indem das Recht auf Kriegsschauplätze gebracht wird, die es zu Zeiten der traditionellen Konflikte noch nicht gab. Im Sinne von Thomas Morus: «Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme!» Ja, wir müssen die Flamme dieser schönen und nützlichen Schweizer Tradition nähren, indem wir das humanitäre Völkerrecht an die Welt von heute anpassen!

Heute wäre es falsch das humanitäre Völkerrecht nur im Kontext traditioneller Konflikte weiterzuentwickeln oder anzuwenden, weil es kaum mehr solche Konflikte gibt. Weltweit am häufigsten sind heute nicht-internationale Konflikte, das heisst Konflikte, bei denen sich ein staatlicher Akteur und bewaffnete Gruppen gegenüberstehen, sowie Konflikte zwischen mehreren bewaffneten Gruppen. Die Konflikte in Syrien, Afghanistan, Mali und der DRK sind aktuelle Beispiele für solche nicht-internationale Konflikte.   

An diesen bewaffneten Konflikten ist eine Vielzahl bewaffneter Gruppen beteiligt. Diese wissen häufig zu wenig über ihre Pflichten im Bereich des humanitären Völkerrechts. Deshalb ist es unabdingbar, einen Dialog mit diesen Gruppen zu führen. Damit der Dialog Wirkung zeigt, müssen gewisse Faktoren berücksichtigt werden, die diese Gruppen veranlassen können, sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie national und international ein positives Bild von sich vermitteln wollen oder dass sie auf die Unterstützung der Zivilbevölkerung angewiesen sind. Aktuell engagiert sich die Schweiz für eine bessere Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch die bewaffneten Gruppen in Syrien. Sie ist erfreut, dass gewisse Gruppen offiziell erklärt haben, dass sie sich an das Völkerrecht halten wollen, und entsprechende Verhaltenskodizes ausgearbeitet haben.

Eine weitere Neuerung ist die zunehmende «Privatisierung» des Kriegs seit Beginn dieses Jahrtausends. Private Militär- und Sicherheitsfirmen haben stark an Bedeutung gewonnen, und es wurde angenommen, dass sich ihre Tätigkeit anfangs in einem rechtsfreien Raum abspielte. An die Stelle staatlicher Armeen waren plötzlich Unternehmen getreten!

Als Reaktion auf dieses Problem lancierte die Schweiz gemeinsam mit dem IKRK einen Prozess zur Klärung der Pflichten von Staaten in diesem Bereich. Aus diesem Prozess ging das Montreux-Dokument hervor, das heute von 42 Staaten und von der Europäischen Union unterstützt wird. Der Prozess ermöglichte es, die Verpflichtungen der Staaten beim Einsatz privater Militär- und Sicherheitsunternehmen in bewaffneten Konflikten zu klären und den Schutz der Zivilbevölkerung in diesem Kontext zu stärken.

Die dritte grosse Herausforderung sehe ich beim Zugang für die humanitäre Hilfe. Der Zugang zur betroffenen Zivilbevölkerung wird von den Konfliktparteien heute häufig verweigert oder faktisch verhindert. In den heutigen bewaffneten Konflikten wird es immer schwieriger, den Zugang für Hilfs- und Schutzleistungen zugunsten der Zivilbevölkerung zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Die Gewährleistung eines schnellen, ungehinderten Zugangs für die humanitären Akteure hat somit mehr denn je oberste Priorität.

Angesichts dieser Herausforderungen lancierte die Schweiz 2009 in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern eine Initiative für einen verbesserten humanitären Zugang während bewaffneter Konflikte. Ziel war es, den nationalen Behörden, den internationalen Organisationen und den humanitären Akteuren vor Ort praktische Instrumente in die Hand zu geben. Die Schweiz hat zum Thema humanitärer Zugang ein Handbuch mit den relevanten völkerrechtlichen Bestimmungen und einen Leitfaden mit Richtlinien für Mitarbeitende von Hilfsorganisationen erarbeitet. Im vergangenen Monat organisierte sie in Amman ein Seminar für die in der Region tätigen humanitären Akteure. Sie präsentierte ein Konzept, das einen raschen, ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen gewährleisten soll, und stellte Empfehlungen zur Aufrechterhaltung des Zugangs vor. Die Instrumente wurden als sehr nützlich begrüsst, denn sie ermöglichen und unterstützen einen strukturierten Ansatz zur Verbesserung des Zugangs zu den Opfern und damit zum Abbau gewisser Hürden beim Zugang humanitärer Organisationen in Fällen wie Afghanistan und Syrien.

Meine Damen und Herren,

Diese Beispiele zeigen, dass es zahlreiche Gründe gibt, weshalb wir handeln und die Instrumente des humanitären Völkerrechts an die heutige Welt anpassen müssen. Die Schweiz versucht aktiv, praxisorientierte und pragmatische Antworten zu diesen Herausforderungen beizusteuern. 

Entscheidend ist jedoch weniger, bestehende Normen zu klären und neue festzulegen, sondern vielmehr, dass die bestehenden Regeln weiterverbreitet werden und dass sichergestellt wird, dass alle Akteure sich daran halten. Also auch, aber nicht nur die staatlichen Akteure.

Die Schweiz hat zudem eine Strategie für den Schutz der Zivilbevölkerung ausgearbeitet, die eine kohärente und wirksame Schutzpolitik gewährleisten soll. Der Schutz von Zivilpersonen betrifft verschiedene Akteure, und es gibt vielfältige Handlungsmöglichkeiten. Die Strategie umfasst die Instrumente, die der Schweiz zur Verfügung stehen, um ihren Einfluss zugunsten der Opfer bewaffneter Konflikte vor Ort, aber auch in den multilateralen Gremien und den Entscheidungsorganen der humanitären Organisationen zu verstärken. Die Schweiz hofft, dank dieser Strategie die Wirksamkeit ihres Engagements erhöhen und gleichzeitig weitere Staaten motivieren zu können, sich stärker für den Schutz der Zivilbevölkerung einzusetzen.

Damit Personen, die das Völkerrecht verletzt haben, zur Rechenschaft gezogen werden, engagiert sich die Schweiz auch mit Nachdruck im Kampf gegen die Straflosigkeit. Sie unterstützt die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs. Im Fall von Syrien fordert eine Initiative der Schweiz, die derzeit von 35 Ländern unterstützt wird, den Sicherheitsrat auf, den Fall dem Internationalen Strafgerichtshof zu übergeben. Die jüngsten Fortschritte im Bereich der Straflosigkeit sind sicher die substanziellsten Entwicklungen der vergangenen Jahre, was die Umsetzung des humanitären Völkerrechts angeht.

Diese Mechanismen kommen erst zum Tragen, wenn das Völkerrecht bereits verletzt wurde. Am wichtigsten ist deshalb natürlich die Prävention. Eine präventive Wirkung ist aber auch zu erwarten, wenn Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit systematisch bestraft werden durch nationale, regionale oder internationale Gerichte. Dies ist einer der Gründe für das aktuelle Engagement der Schweiz in Syrien: Sie will Druck machen auf die Urheber von Gräueltaten, indem sie ihnen klar macht, dass ihr Handeln ein Nachspiel haben wird. Und dass dieses Nachspiel darin bestehen kann, dass die Täter sich in Den Haag auf der Anklagebank wiederfinden. 

Diese Stossrichtung ist wichtig, doch auch hier muss im Bereich der Umsetzung mehr getan werden. Zur Bewältigung dieser grossen Herausforderung hat die Schweiz gemeinsam mit dem IKRK eine diplomatische Initiative mit dem Ziel lanciert, konkrete Mittel zur besseren Einhaltung des humanitären Völkerrechts und zur Stärkung des entsprechenden Dialogs zwischen den Staaten zu definieren. Mit Ausnahme der Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds, die alle vier Jahre stattfindet, gibt es nämlich kein spezifisches Forum, in dem Fragen des humanitären Völkerrechts regelmässig diskutiert werden.

Im Gegensatz zu anderen Bereichen des Völkerrechts, etwa dem Menschenrechtsbereich, gibt es für das humanitäre Völkerrecht keine eigentliche institutionelle Struktur und keine wirksamen Kontrollmechanismen. Die wenigen Kontroll- und Überwachungsmechanismen, die es gibt, haben sich als ungeeignet erwiesen.

Am 13. Juli 2012 organisierte die Schweiz deshalb zusammen mit dem IKRK in Genf ein erstes Treffen mit den interessierten Staaten. 71 folgten der Einladung. Die Teilnehmer anerkannten das Problem und äusserten den Wunsch nach einer Stärkung des Dialogs über eine bessere Einhaltung des humanitären Völkerrechts.

Dieses neue Bewusstsein ist sehr positiv. Die Schweiz wird nun darauf achten, dass der Dialog regelmässiger und systematischer geführt wird. Eine Arbeitsgruppe und bilaterale Beratungen sollen es ermöglichen, konkrete Ideen und pragmatische Lösungen zu finden, die beim nächsten Treffen der interessierten Staaten 2013 diskutiert werden können. Interessant ist zum Beispiel die Feststellung, dass das humanitäre Völkerrecht weder ein Vertragsorgan noch ein Berichtsverfahren oder einen Prozess wie die allgemeine regelmässige Überprüfung vorsieht, wie dies im Bereich der Menschenrechte der Fall ist. Es wird darum gehen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des humanitären Völkerrechts herauszufinden, welche Art von Mechanismus die Einhaltung dieser Rechte fördern könnte. Lösungen gibt es: Es ist aber wichtig, dass wir nicht im Alleingang handeln, sondern gemeinsam mit den anderen Akteuren.  

Meine Damen und Herren,

Schliesslich möchte ich auch erwähnen, dass die Schweiz als Hohe Vertragspartei der Genfer Konventionen auch verpflichtet ist, das humanitäre Völkerrecht auf ihrem eigenen Staatsgebiet umzusetzen und weiterzuverbreiten. Der Bundesrat beschloss deshalb 2009, wie zahlreiche andere Länder auch ein Interdepartementales Komitee für Humanitäres Völkerrecht einzusetzen. Die Schweiz stärkt somit ihr Engagement in diesem Bereich mit Unterstützung des Schweizerischen Roten Kreuzes weiter.

Meine Damen und Herren

«Den Krieg humanisieren»: Diese Worte sind Realität geworden, es wurde grosse und bemerkenswerte Arbeit geleistet. Das humanitäre Völkerrecht ist weit entwickelt. Trotzdem können wir uns mit dem Erreichten noch nicht zufrieden geben. Wir müssen uns noch mehr engagieren, um den Krieg zu verhindern. Und wenn er dennoch stattfindet, müssen wir noch mehr tun, um ihn zu zähmen und humaner zu machen.

Aufgrund der weltweiten Entwicklung und der heutigen Konfliktformen bleibt noch viel zu tun, wenn wir die Verbreitung, die konkrete Anwendung vor Ort und die Kontrolle der Einhaltung verbessern wollen. Die Schweiz will sich sehr aktiv für diese Ziele engagieren und erklärt sie zu einer Priorität ihrer Aussenpolitik. Denn zu unserer Aussenpolitik gehören die Förderung unserer Interessen und die Verteidigung unserer Werte. Diesen Werten verdankt die Schweiz ihren Ruf, sie machen unser Land zu dem, was es ist, und zu etwas Besonderem. Ohne das humanitäre Völkerrecht wäre die Schweiz nicht ganz dieselbe Schweiz. Und ohne die Schweiz wäre auch das humanitäre Völkerrecht nicht ganz das, was es ist. Wir wollen, dass dieses Recht dank der Schweiz wirksamer und besser bekannt wird.

Die gemeinsame Geschichte zwischen der Schweiz und dem humanitären Völkerrecht geht weiter. Mit Realismus und Zuversicht.

 


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