Entwicklungszusammenarbeit: Kultur schafft Raum für den Dialog

Kulturförderung ist ein wichtiger Teil der Schweizer Entwicklungshilfe. Die Schweiz unterstützt zahlreiche künstlerische Initiativen in ihren Partnerregionen. In Nordafrika, aber auch in anderen schwierigen Kontexten kann Kultur den Dialog fördern.

Festival «Dream City» in Tunis; eine Gruppe junger Menschen sitzt in einem Innenhof im Kreis.

Kultur trägt laut dem Arabischem Fonds für Kunst und Kultur (AFAC) zu offeneren und gerechteren Gesellschaften bei und stärkt das Vertrauen in deren Kreativität und in die Jugend. © Josef-Wouters / Pol-Guillard

In Marrakesch vereint ein Musikfestival Menschen aus zwölf afrikanischen Ländern, die teilweise miteinander in Konflikt stehen. Es wird gemeinsam getanzt. In ländlichen Gegenden Algeriens lernen junge Frauen den Umgang mit der Kamera, um eigene, sehr persönliche Kurzfilme zu drehen. Ausbildungslager in Ägypten ermöglichen Jugendlichen verschiedener ethnischer Gruppen, sich über digitale Ausdrucksformen auszutauschen. Dies sind nur einige der Projekte des Kulturprogramms Nordafrika der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Verwaltet wird es vom Arabischen Fonds für Kunst und Kultur (AFAC), der Partnerorganisation der DEZA vor Ort.

Kunst und Kultur ermöglichen einen Dialog über Themen, die sonst tabu sind. Sie schaffen Räume, welche die Zusammenarbeit, den Austausch, den Dialog, das Hinterfragen und hoffentlich auch die Toleranz fördern.
Heba Hage-Felder

Heba Hage-Felder ist von Beirut aus verantwortlich für die AFAC-Programme, namentlich für die von der Schweiz unterstützten Projekte. In einem Telefongespräch erklärt sie, warum diese Unterstützung wichtig ist, insbesondere in Ländern mit einer schmerzvollen Vergangenheit.

Kraft der Kultur

Heba Hage
Heba Hage © AFAC

«Wir dürfen die Bedeutung der Kultur in den Programmen der Entwicklungshilfe nicht unterschätzen. Kunst und Kultur ermöglichen einen Dialog über Themen, die sonst tabu sind. Sie schaffen Räume, welche die Zusammenarbeit, den Austausch, den Dialog, das Hinterfragen und hoffentlich auch die Toleranz fördern. «Ein Film, ein Lied, aber auch ein Roman können wie kein anderes Medium Tränen auslösen, eine andere Sichtweise aufzeigen, einen Dialog eröffnen», meint Heba Hage, die seit über 22 Jahren für die humanitäre Hilfe und die Entwicklungshilfe arbeitet.

«Die arabische Region steht häufig wegen ihrer Probleme in den Schlagzeilen. Dank der Unterstützung einer unabhängigen, vielseitigen und lebendigen Kulturszene werden die Ereignisse anders wahrgenommen, und es wird anders darüber berichtet.»

Das Kulturprogramm Nordafrika (2019–2022) umfasst fünf Länder: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Die Schweiz unterstützt mehr als vierzig Kultur- und Kunstprojekte.

Die künstlerische Auseinandersetzung erlaubt es uns, die Gegenwart und die Zukunft neu zu denken, unsere Vorstellungen von einer offeneren und gerechteren Gesellschaft und neuen Lebensformen zu konkretisieren.
Heba Hage-Felder

Andere Hebelwirkungen?

Warum werden in dieser Weltregion Kulturprojekte finanziert, wenn es andere Bereiche gibt, die grössere Hebelwirkungen für die Entwicklung entfalten könnten? Für Heba Hage sind die Ansätze nicht gegensätzlich, sondern ergänzen sich, wobei sie die Frage berechtigt findet.

«Kultur ist Teil der Entwicklung», meint die Expertin. «Alle Geber stellen sich bei der Budgetzuteilung diese Frage, in der Schweiz wie auch anderswo. Dennoch sollte die Kultur nicht in Konkurrenz zu anderen Projekten gesetzt werden, die dazu beitragen, Leben zu retten oder den Zugang zu Wasser, Nahrung oder Gesundheit zu sichern.

«Die künstlerische Auseinandersetzung erlaubt es uns, die Gegenwart und die Zukunft neu zu denken, unsere Vorstellungen von einer offeneren und gerechteren Gesellschaft und neuen Lebensformen zu konkretisieren. Sie hilft den Menschen, ihren Platz in der Gesellschaft sowie ihre eigene Identität und die der anderen besser zu verstehen.»

Fotos, Performances, Filme, Erzählungen, Literatur, Musik oder Forschung – die von der DEZA unterstützten Initiativen sind vielfältig und umfassen alle Kunstformen. Sie bilden zusammen die Vielfalt einer Gesellschaft.

«Gerade in fragilen Kontexten ist es wichtig, sich auf das zu konzentrieren, was eine Gemeinschaft, namentlich ihre junge Generation, ausmacht. Kultur kann das.», sagt die Expertin mit schweizerisch-libanesischen Wurzeln.

Das DEZA Kulturprogramm bildet einen Beitrag der Schweiz für die Eindämmung der Radikalisierung und für die Stabilität in vielen Regionen.
Christian Frutiger, Vizedirektor der DEZA

Unterstützung bei der Produktion und Verbreitung von kulturellen und künstlerischen Werken

Der Vizedirektor der DEZA, Christian Frutiger, unterstreicht die globale Wirkung solcher Programme: «Das DEZA-Kulturprogramm bildet einen Beitrag der Schweiz für die Eindämmung der Radikalisierung und für die Stabilität in vielen Regionen.» Er ist überzeugt, dass das Kulturengagement der DEZA viele positive Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Beschäftigung von Jugendlichen und den Aufbau von nachhaltigen und friedlichen Gesellschaften hat.

Das Potenzial der Kultur in Entwicklungsprozessen sowie die Risiken von Kunstschaffenden in schwierigen Kontexten sind Themen, die vom 27. bis 29. Februar 2020 an der internationalen Konferenz «Art at Risk» in Zürich diskutiert werden. Die DEZA ist Partnerin dieser Veranstaltung und nimmt daran teil. Heba Hage und Lisa Magnollay, Verantwortliche des Programms in der DEZA, werden über das Kulturprogramm Nordafrika sprechen.

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