«Der Internationale Strafgerichtshof verfolgt die schwersten Verbrechen überhaupt»

Die Schweiz hat Änderungen des Römer Statuts ratifiziert. Damit soll der Internationale Strafgerichtshof (ICC) den Einsatz von biologischen Waffen, blindmachenden Laserwaffen und gewissen Splitterwaffen als Kriegsverbrechen ahnden können. Botschafterin Corinne Cicéron Bühler, Leiterin der Direktion für Völkerrecht, erklärt, wieso die Schweiz die Ratifikationsurkunde hinterlegt hat und wieso die Arbeit des ICC nicht nur für Menschen in Kriegsgebieten von Bedeutung ist.

Portrait von Botschafterin Corinne Cicéron Bühler, Leiterin der Direktion für Völkerrecht

Botschafterin Corinne Cicéron Bühler, Leiterin der Direktion für Völkerrecht, erklärt, wieso die Arbeit des ICC nicht nur für Menschen in Kriegsgebieten von Bedeutung ist. © Keystone

Corinne Cicéron Bühler, für viele ist der Internationale Strafgerichtshof ein Begriff, aber nur wenige wissen, was der ICC tut. Worum kümmert sich der ICC als internationale Institution?

Corinne Cicéron Bühler: Der Internationale Strafgerichtshof, kurz ICC – aus dem Englischen International Criminal Court – wurde 1998 geschaffen und ist heute ein wichtiger Bestandteil unserer regelbasierten internationalen Ordnung. Der ICC verfolgt ausschliesslich die schwersten Verbrechen überhaupt: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression.

Eine Frau steigt die Treppe des ICC in Den Haag hoch.
Der ICC verfolgt die schwersten Verbrechen, die es gibt: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggressionsverbrechen. © Keystone

Wieso gerade diese?

Weil sie den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen. Dabei kann der ICC nur gegen Einzelpersonen vorgehen, nicht gegen ein ganzes Land. Aktuell führt er 21 strafrechtliche Untersuchungen und Prozesse durch, verteilt auf die ganze Welt.

Bedeutet das nicht, dass sich mit dem ICC eine internationale Institution in die Schweizer Politik einmischen kann?

Nein; der ICC kann keinen Einfluss auf die Schweizer Gesetzgebung oder unsere Politik nehmen. Das Mandat des ICC ist in seiner völkerrechtlichen Grundlage – dem Römer Statut – klar beschränkt. Einerseits nimmt sich der ICC nicht irgendwelchen Verbrechen an, sondern ausschliesslich den schwersten Verbrechen, die es überhaupt gibt: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Diese Tatbestände sind im Römer Statut unmissverständlich definiert.

Andererseits liegt die Verantwortung der Strafverfolgung in erster Linie immer bei den nationalen Behörden. Auch das ist im Römer Statut klar festgehalten. Der ICC kann nur dann Untersuchungen einleiten und gegen eine Einzelperson vorgehen, wenn die Justiz des betroffenen Landes nicht willens oder selbst nicht in der Lage dazu ist. Die Schweiz ist sowohl willens, als auch in der Lage, diese schweren Verbrechen selbst zu verfolgen. Wir haben ein unabhängiges und gut funktionierendes Justizsystem. Diese Verbrechen sind in unserem Strafgesetzbuch und im Militärstrafgesetz geregelt und werden entsprechend durch unsere eigenen Behörden geahndet.

Obwohl die Schweiz solche Verbrechen selbst konsequent verfolgt hat sie diese Änderungen des Römer Statuts ratifiziert. Wieso tun wir das, wenn der Einsatz dieser Waffen bei uns schon seit 2011 unter Strafe steht?

Mit der Ratifikation wollen wir ein Zeichen setzen. Es ist richtig, dass die Verwendung dieser Waffentypen in der Schweiz bereits seit 2011 als Kriegsverbrechen geahndet wird. Gleichzeitig ist die Schweiz sowohl willens als auch in der Lage, im Zweifelsfall ein solches Verbrechen zu verfolgen.

Mit der Ratifikation der Änderungen des Römer Statuts signalisieren wir, dass die Verwendung dieser Waffen aber auch über die Schweiz hinaus als Kriegsverbrechen verfolgt werden soll. Damit ermutigen wir auch andere Staaten, die Änderungen zu ratifizieren und diese Verbrechen zu untersuchen und zu verfolgen.
Corinne Cicéron Bühler, Leiterin der Direktion für Völkerrecht

Mit der Ratifikation der Änderungen des Römer Statuts signalisieren wir, dass die Verwendung dieser Waffen aber auch über die Schweiz hinaus als Kriegsverbrechen verfolgt werden soll. Damit ermutigen wir auch andere Staaten, die Änderungen zu ratifizieren und diese Verbrechen zu untersuchen und zu verfolgen. Als Mitgliedstaat möchte die Schweiz den ICC stärken und international ein Zeichen für die Wichtigkeit seiner Arbeit setzen.

Glasfassade des ICC-Gebäudes von aussen.
Der ICC in Den Haag wurde 1998 geschaffen und ist heute ein wichtiger Bestandteil der auf Regeln basierenden internationalen Ordnung. © Keystone

Die Schweiz hat den ICC von Anfang an unterstützt. Wieso ist der Strafgerichtshof als internationale Institution für die Schweiz wichtig?

Der ICC ist das Resultat jahrzehntelanger Bemühungen, schwerste Verbrechen, wie wir sie etwa im zweiten Weltkrieg erlebt haben, zu ahnden und damit in Zukunft zu verhindern. Mit der Ahndung solcher Verbrechen trägt der Strafgerichtshof dazu bei, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte durchzusetzen. Täter sollen ihrer Strafe nicht entgehen können und die Opfer solcher Verbrechen sollen Gerechtigkeit erfahren. Nur so sind eine nachhaltige Versöhnung und damit ein friedliches Zusammenleben möglich.

Der ICC trägt damit letztlich zu Stabilität und Wohlstand bei. Das Engagement für das humanitäre Völkerrecht war und ist stets ein wesentlicher Bestandteil der Schweizer Aussenpolitik. Daher setzen wir uns für einen leistungsstarken Strafgerichtshof ein. Die Schweiz fokussiert sich dabei unter anderem auf die Stärkung des Römer Statuts, darauf, dass der Strafgerichtshof seine Arbeit effizient und wirksam durchführen kann und vor allem darauf, dass die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten und mit dem ICC kooperieren.

Wie leistet die Schweiz konkret einen Beitrag zur Stärkung des ICC?

Letztes Jahr hat die Schweiz beispielsweise einen Vorstoss eingereicht, damit der ICC zukünftig das Aushungern von Zivilpersonen auch in Bürgerkriegen als Kriegsverbrechen verfolgen kann. Dieses absichtliche Aushungern von Menschen als Methode der Kriegsführung ist heute ein grosses Problem. Die Mehrheit der über 800 Millionen Menschen, die täglich unter Hunger leiden, leben in Konfliktgebieten. Umso wichtiger ist es, dass das absichtliche Aushungern der Zivilbevölkerung auch in Bürgerkriegen als Kriegsverbrechen verfolgt werden kann. Diese bedeutende Ergänzung des Römer Statuts wurde im Dezember 2019 von den Vertragsstaaten des ICC einstimmig beschlossen.

Über die letzten Jahre hat die Schweiz ausserdem die Ausarbeitung von Indikatoren gefördert, die die Leistung des Strafgerichtshofes messbar und damit verbesserbar machen. Zudem setzt sich die Schweiz dafür ein, dass nur die besten und qualifiziertesten Personen in Schlüsselpositionen des ICC gewählt werden. Ob der ICC sein Mandat erfolgreich erfüllen kann hängt am Ende auch von seinen 123 Mitgliedsstaaten ab.

Es ist daher wünschenswert, dass weitere Staaten dem Römer Statut beitreten. Es ist elementar, dass die Mitgliedstaaten mit dem Strafgerichtshof zusammenarbeiten. Erst vor Kurzem hat die Schweiz im Zusammenhang mit Massnahmen gegen den ICC ihre Unterstützung in deutlichen Worten bekräftigt und zusammen mit 66 weiteren Staaten ein klares Zeichen für den Gerichtshof gesetzt.

Die Schweizer Aussenpolitik ist geprägt von ihrer humanitären Tradition. Wieso ist gerade mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) wichtig?

Das humanitäre Völkerrecht ist fest in der Schweizer Tradition verankert – es reicht zurück bis ins Jahre 1864, als der Bundesrat das erste Genfer Abkommen hat aufsetzen lassen. Das humanitäre Völkerrecht schränkt in bewaffneten Konflikten Mittel und Methoden der Kriegsführung ein und schützt Personen, die selbst nicht oder nicht mehr an den Feindseligkeiten teilnehmen. Diese Regeln retten jeden Tag Leben und verringern Leid im Krieg.

Je höher die Chance, dass man für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen wird, desto höher ist der abschreckende und präventive Effekt.
Corinne Cicéron Bühler, Leiterin der Direktion für Völkerrecht

Trotz Regeln und Verboten kommt es immer wieder vor, dass das humanitäre Völkerrecht verletzt wird und sogar Kriegsverbrechen begangenen werden. Ein solches Vorgehen hat oft dramatische Folgen für die betroffenen Menschen. Am Ende schrecken Verbote dann ab, wenn Verstösse gegen sie konsequent verfolgt werden. Insbesondere beim humanitären Völkerrecht, wo es um Leben und Tot geht, ist dieses Bewusstsein wichtig. Mit seinem Mandat, diese Kriegsverbrechen dort zu verfolgen, wo die nationalen Behörden dies nicht tun, schliesst der ICC eine Lücke der Straflosigkeit.

Kurz: Je höher die Chance, dass man für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen wird, desto höher ist der abschreckende und präventive Effekt. Mit ihrem Engagement für den Internationalen Strafgerichtshof leistet die Schweiz also einen wichtigen Beitrag für die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts.

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