Wie lässt sich die nachhaltige Entwicklung beschleunigen?
Im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sind alle 193 UN-Mitgliedsstaaten aufgefordert, die drängenden Herausforderungen von A (wie Armut) bis Z (Zusammenarbeit) gemeinsam zu bewältigen. In der Schweiz sind für die Umsetzung der Agenda 2030 zwei Delegierte des Bundesrates verantwortlich: Markus Reubi, stellvertretender Leiter der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit (AWN) im EDA-Staatssekretariat, und Daniel Dubas, Leiter der Sektion Nachhaltige Entwicklung im Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) des UVEK. Der Vorsitz über das leitende Organ der Bundesverwaltung, das Direktionskomitee, kommt nach zwei Jahren wieder vom ARE zum EDA. Markus Reubi gibt Auskunft über Herausforderungen, Prioritäten und Projekte in den kommenden zwei Jahren.
Markus Reubi, stellvertretender Leiter der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit im EDA, Daniel Dubas, Leiter der Sektion Nachhaltige Entwicklung im UVEK, Astrid Wüthrich, Vize-Direktorin Bundesamt für Sozialversicherungen im EDI, und Benjamin Rothen, Leiter internationale Beziehungen und nationale Angelegenheiten im EDI im Rahmen der Vorbereitung des High Level Political Forums in New York. © EDA
Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wurde 2015 von allen UNO-Mitgliedstaaten verbschiedet. Mit 17 Zielen, 169 Unterzielen und über 200 Indikatoren ist sie überaus ambitioniert. Diese Ziele betreffen zudem so unterschiedliche Politikbereiche wie den Kampf gegen die Armut, Ernährungssicherheit, den Zugang zu Bildung und erneuerbaren Energien, die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder den Schutz der Meeresressourcen und Landökosysteme. Diese Ziele sind miteinander verknüpft und die Agenda verbindet damit die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Für den Bundesrat bildet die Agenda 2030 den geeigneten Referenzrahmen, um die Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit zu bewältigen. Deshalb ist die Umsetzung der Agenda 2030 auf Bundesebene einerseits Teil der Aussenpolitischen Strategie, andererseits aber auch zahlreicher sektorieller Strategien (z.B. Internationale Zusammenarbeit, Nachhaltige Entwicklung, Bildung/Forschung/Innovation, Aussenwirtschaft, etc.). Darüber hinaus orientieren sich aber die Kantone, Städte und Gemeinden sowie die Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in ihrem Handeln zunehmend an den UNO-Nachhaltigkeitszielen.
Wo steht die Schweiz bei der Umsetzung? Seit 2015 ist sie den Zielen in verschiedenen Bereichen ein Stück nähergekommen. Dies betrifft beispielsweise die Versorgung mit erneuerbaren Energien. Global konnten Fortschritte bezüglich Kindersterblichkeit erzielt werden. Diese Fortschritte gilt es zu benennen, aber auch in den Kontext zu stellen. Der Länderbericht der Schweiz an die UNO, welcher alle 4 Jahre auf freiwilliger Basis erstellt wird, gibt Auskunft über den Stand und die Fortschritte. Er beleuchtet aber auch den verbleibenden Handlungsbedarf – und dieser ist national und international gross: Weltweit nimmt die extreme Armut seit 2020 zu, Frauenrechte geraten immer stärker unter Druck, die Artenvielfalt nimmt ab. Dies sind nur drei Beispiele, welche zeigen, dass bei der Umsetzung der Agenda 2030 noch weitere Anstrengungen nötig sind. Neue Impulse sind notwendig.
Interview mit dem Delegierten des Bundesrats für die Agenda 2030, Markus Reubi
Markus Reubi verfolgt die wachsenden Herausforderungen in der nachhaltigen Entwicklung seit mehreren Jahren und aus verschiedenen Perspektiven. Bevor er stellvertretender Leiter der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit im EDA in Bern wurde, war er unter anderem in Beijing für die bilaterale Wissenschaftszusammenarbeit Schweiz-China zuständig. Er leitete zudem den Swiss Business Hub in Kanada sowie die diplomatische Abteilung der Botschaft in Japan.
Herr Reubi, welches sind Ihre Aufgaben als Delegierter des Bundesrates für die Agenda 2030 – und was bedeutet, dass die Federführung bei der Umsetzung der Agenda in den kommenden zwei Jahren beim EDA liegt.
Als Delegierter leite ich das für die Umsetzung der Agenda 2030 entscheidende Gremium der Bundesverwaltung, das Direktionskomitee. Darin sind 16 Bundesämter sowie die Bundeskanzlei auf Ebene Geschäftsleitung vertreten.
Ich stelle auch die Verbindung mit dem Departementschef und über ihn mit dem Bundesrat sicher – beispielsweise, wenn es darum geht, die Prioritäten festzulegen oder den Länderbericht zu verabschieden. Gemeinsam mit meinem Team in der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit (AWN) des EDA sowie mit Unterstützung des ARE koordinieren wir die Arbeiten am Länderbericht. Und last but not least vertreten wir die Schweiz in der UNO – insbesondere am jährlichen High Level Political Forum – und in anderen Organisationen, wir nehmen an Veranstaltungen zur Nachhaltigkeit teil und wir nutzen verschieden Kommunikationskanäle. Mein Leitmotiv: an konkreten Beispielen aufzeigen, wie wir die Nachhaltigkeitsziele umsetzen und gemeinsam Fortschritte erzielen. Bis heute gibt es keinen besseren Referenzrahmen für eine nachhaltige Entwicklung.
Welche Chancen, aber auch Herausforderungen ergeben sich bei der Zusammenarbeit zwischen dem EDA und dem UVEK (ARE) bei der Umsetzung der Agenda 2030?
Der Bundesrat hat mit dem wechselnden Vorsitz eine neuartige, innovative Organisationsform gewählt. Diese ermöglicht es, innen- und aussenpolitische Kohärenz bestmöglich herzustellen. Das UVEK (ARE) hat eher den Blick nach innen, während das EDA die Perspektive aus der UNO und dem internationalen Umfeld generell einbringt. Beides lässt sich nicht voneinander trennen – entsprechend ergänzen wir uns gut. Eine Herausforderung besteht mit Blick auf die Ressourcen. Durch den wechselnden Vorsitz schwankt das Arbeitsvolumen. Indem wir jedoch die beiden Prozesse Länderberichterstattung und Umsetzung SNE 2030 miteinander verknüpfen, können wir auch stärker als Team auftreten, Synergien nutzen und uns gegenseitig aushelfen. Grundsätzlich sorgt die Ansiedlung der Agenda 2030 in zwei Departementen auch für eine breitere Abstützung.
Wo hat die Schweiz bei der Umsetzung der Agenda 2030-Ziele Fortschritte gemacht?
Die Schweiz hat auf Bundesebene eine effiziente und schlanke Umsetzungsstruktur aufgebaut, welche die dezentralen Verantwortlichkeiten nicht in Frage stellt und Zusammenarbeit über die Organisationsgrenzen hinweg fördert.
Unser Land gilt zudem in Sachen Daten- und Reporting-Qualität als vorbildlich, nicht zuletzt dank einem sehr engagierten Bundesamt für Statistik. Zudem gibt es Fortschritte in Teilbereichen, etwa im Zubau erneuerbarer Energien. Insgesamt gilt aber weiterhin das Fazit aus der letzten Bestandesaufnahme und dem Länderbericht 2022: die Richtung stimmt, das Tempo nicht. Für Details zum Stand der Zielerreichung empfehle ich einen Klick auf SDGital2030.ch.
Die Schweiz misst dem Multilateralismus bei der Umsetzung der Agenda 2030 eine grosse Bedeutung zu. Was bedeutet es hier, wenn die multilaterale Zusammenarbeit schwieriger wird?
Das lässt sich am Beispiel des High Level Political Forums for Sustainable Development zeigen: Das Forum wurde als Plattform für die Konsensbildung und den Erfahrungsaustausch konzipiert, ist in den vergangenen Jahren aber vermehrt zu einer Bühne des machtpolitischen Wettbewerbs geworden. Der 2015 mit der Verabschiedung der Agenda 2030 geschaffene Konsens und das damit verbundene hohe Ambitionsniveau wird zunehmend in Frage gestellt. Dieser «Missbrauch» multilateraler Institutionen ist aber nur ein Grund dafür, dass wir bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele nicht auf Kurs sind. Der fehlende politische Wille angesichts drängender Probleme – insbesondere im Bereich Sicherheit – ist ein weiterer Grund.
Für die Schweiz bleibt der Multilateralismus für die Entwicklung gemeinsamer Lösungen zu den globalen Herausforderungen alternativlos. Künftig wird der Zusammenarbeit mit substaatlichen Gemeinschaften und nicht-staatlichen Akteuren eine noch wichtigere Rolle zukommen. Um dem gerecht zu werden, hat die Schweiz verschiedene Initiativen lanciert. So unterstützen wir beispielsweise den Ausbau des UNECE-Mayors’ Forum in Genf - ein internationales Forum, an dem sich Städte direkt zur Umsetzung der Agenda 2030 austauschen und voneinander lernen können.
Wo sehen Sie die thematischen Schwerpunkte in den nächsten zwei Jahren bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und welche Herausforderungen erwarten Sie dabei?
Grundsätzlich orientieren wir uns in der Schweiz an der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030, welche der Bundesrat 2021 verabschiedet hat. Die drei Schwerpunkte sind dort definiert: «Nachhaltiger Konsum, nachhaltige Produktion», «Klima, Energie und Biodiversität» sowie «Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt». Bricht man dies auf einzelne Ziele hinunter, geht es beispielsweise im Aktionsplan gegen die Lebensmittelverschwendung darum, die Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu reduzieren. Ziel 12.3 der Agenda 2030 sieht diesbezüglich eine Halbierung vor – viel Zeit zur Umsetzung bleibt nicht.
Neben den inhaltlichen Zielen, an denen sich neben dem Bund auch die Kantone und Städte sowie die Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft messen, wollen wir die Agenda 2030 auch als Instrument besser bekannt machen. Hierzu nutzen wir mit den beiden Teams in der AWN und im ARE sowohl den all zwei Jahre stattfindenden SDG Flag Day jeweils am 25. September als auch den Länderbericht 2026. Dabei sollen auch die Erfolge und Chancen kommuniziert werden. Das ist nicht ganz einfach, denn wir haben die Tendenz, vor allem die Lücken und die verbleibenden – zweifellos grossen! – Herausforderungen zu thematisieren.
SDG Flag Day
Am 25. September findet jedes Jahr der SDG Flag Day statt. Mit dem symbolischen Hissen der SDG Flagge drücken Organisationen, Unternehmen, Gemeinden, Schulen und Regierungen weltweit ihre Unterstützung für die Ziele für nachhaltige Entwicklung aus. Initiator dieser symbolischen Aktion sind die UN Global Compact Country Networks. Auch der Bund engagiert sich am Flag Day: Markus Reubi und Daniel Dubas, die beiden Delegierten des Bundesrates für die Agenda 2030, werden sich aus Anlass des Flag Day mit der Stadt Lugano zu ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten austauschen.