Konfliktursache Wasser wird zum Treiber für Frieden und Sicherheit

Jederzeit Zugang zu frischem Trinkwasser oder genügend Wasser für Landwirtschaft und Industrie: Was in der Schweiz selbstverständlich ist, kann in anderen Teilen der Welt zu Konflikten führen. 263 Einzugsgebiete von Flüssen oder Seen befinden sich weltweit in zwei oder mehr Staaten. Rund 300 grenzüberschreitende Grundwasservorkommen bilden für zwei Milliarden Menschen weltweit die Existenzgrundlage. Die Nutzung von Wasser über die Grenzen hinweg birgt Konfliktpotenzial. Die Schweiz versucht mit Wasserdiplomatie («Blue Peace»), mögliche Konflikte präventiv zu entschärfen.

Ein Flusslauf in einer kargen Gegend zwischen zwei Staaten, der in einen See mündet.

Die Schweiz hat langjährige Erfahrung im grenzüberschreitenden Wassermanagement und trägt ihr Wissen in die Welt hinaus. © Piotr Krzeslak/Shutterstock

Konflikte um die Nutzung natürlicher Ressourcen werden zunehmen. Städte und Gemeinden spielen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen. Weltweit steigt der Bedarf laufend, die verfügbare Wassermenge bleibt jedoch beschränkt und die Verschmutzung nimmt zu. Mit dem Fortschreiten der klimatischen Veränderungen verschärft sich diese Situation. Der gerechte Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene ist auch ein Schlüsselfaktor für die Gesundheit und eine wichtige Säule bei der Prävention und Bekämpfung jeglicher Infektionskrankheiten wie COVID-19. Die Schweiz ist sich dieser globalen Problematik bewusst.

Wasser an der UNO: Zugang zu sauberem Wasser ist in Zeiten von COVID-19 wichtiger denn je

Die aktuelle Pandemie und ihre verheerenden Auswirkungen auf die menschliche Sicherheit hat weltweit gezeigt, wie eng die Agenda 2030 der UNO und ihre Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) miteinander verknüpft sind. Wasser steht im Mittelpunkt der Agenda und spielt in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Umwelt, Wirtschaft und Soziales – eine wichtige Rolle. Da Wasser eine Ressource ist, die oft von vielen Ländern geteilt wird, birgt es ein immenses Potenzial für Zusammenarbeit und Dialog. Das ist im Kontext von COVID-19 zentral.

Vor diesem Hintergrund findet am 29. Mai 2020 findet in New York ein hochrangiges Event statt: Die teilnehmenden Staaten stellen am Event Lösungen im Angesicht der Herausforderungen bei der Umsetzung der SDGs vor und identifizieren «Treiber», um die Umsetzung der Agenda 2030 im Bereich Wasser zu beschleunigen. Ein Wasserressourcenmanagement, das alle betroffenen Akteure einbezieht, ist ein zentrales Element, das Staaten hilft, ihre Fähigkeiten zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise und ihrer Folgen wiederherzustellen und bei künftigen Krisen widerstandsfähiger zu sein.

Schweizer Wasserdiplomatie

Die Aussenpolitische Strategie 2020-2023 – das Rahmenwerk der Schweizer Aussenpolitik – hat das Ziel, dass Wasser nachhaltig bewirtschaftet und gerecht zwischen Nachbarländern aufgeteilt wird. Das setzt die Schweiz in ihrer Wasserdiplomatie um, namentlich in der sogenannten «Blue Peace Initiative», die 2020 ihr zehnjähriges Bestehen feiert. «Blue Peace» bedeutet gemeinsamer Einsatz für genügend und sauberes Wasser - über Grenzen und Generationen hinweg. Gemeinsame Institutionen und rechtliche Rahmenbedingungen, die Länder verbinden, sollen Differenzen auf friedliche Art und Weise lösen. Das gemeinsame Wasser ist Grundlage für die menschliche Sicherheit und ermöglicht eine bessere wirtschaftliche und diplomatische Zusammenarbeit. «Blue Peace» soll den destruktiven Wettbewerb um begrenzte Süsswasserressourcen in eine konstruktive Zusammenarbeit verwandeln. Damit leistet die Schweiz einen konkreten Beitrag zu Frieden und Sicherheit.

Das blaue Wasser eines Baches plätschert über steinigen Untergrund.
«Blue Peace» bringt betroffene Gruppen zusammen, um die Nutzung gemeinsamer Wasserressourcen zu regeln. © Leo Rivas/Unsplash

Langjährige Erfahrung im Wassermanagement

Die Schweiz hat eine langjährige Erfahrung im Wassermanagement. Mit ihren Tausenden Quellen wird die Schweiz als Wasserschloss Europas bezeichnet. Doch auch hier kann Übernutzung ein Problem darstellen. Ein Beispiel dafür ist das Grundwasservorkommen rund um die Stadt Genf. Es wird auf Schweizer und französischer Seite genutzt. Durch intensive Nutzung sank in den 60er und 70er Jahren der Grundwasserspiegel um mehr als sieben Meter. Innerhalb von 20 Jahren wurde in der Region ein Drittel des gesamten Grundwassers verbraucht. Um diese Entwicklung zu stoppen, nahmen lokale und nationale Behörden beider Staaten Verhandlungen auf, mit dem Ziel, sich gemeinsam um die Finanzierung und der Einrichtung eines gemeinsamen Wassermanagementsystems zu bemühen. Mit Erfolg. Seit über 40 Jahren bewirtschaften die Schweiz und Frankreich das Grundwasservorkommen rund um Genf gemeinsam.

Dieses Wissen trägt die Schweiz mit der «Blue Peace Initiative» in die Welt hinaus. Neben Zentralasien und dem Nahen Osten ist die Schweiz auch in Afrika in diesem Gebiet tätig, namentlich in Subsahara-Afrika, einer Schwerpunktregion der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz (IZA). Die Region verzeichnet ein anhaltendes Bevölkerungswachstum. Bis ins Jahr 2030 werden neun von zehn Menschen in dieser Region in extremer Armut leben. Weite Teile Afrikas sind immer wieder von Dürren oder Überschwemmungen betroffen, die durch den Klimawandel zusätzlich verstärkt werden. Wie begegnet die Schweiz in Senegal der Wasser-Problematik? Marion Weichelt, Botschafterin in Dakar, erläutert das Engagement der Schweiz vor Ort.

Portrait von Botschafterin Marion Weichelt.
Marion Weichelt, Botschafterin der Schweiz in Senegal. © EDA
Welche aktuellen Herausforderungen im Zusammenhang mit Wasser gibt es in Westafrika?

In Westafrika teilen sich verschiedene Staaten die Nutzung einige der grössten Flüsse, z.B. des Senegalflusses oder der Flüsse Niger und Gambia. Aber auch kleinere Flüsse und das Grundwasser bilden die Lebensgrundlage für Menschen in benachbarten Staaten.

Der Druck auf Süsswasserressourcen nimmt in dieser Region zu. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Urbanisierung, Bevölkerungswachstum, Anstieg der landwirtschaftlichen Produktion und Landnutzungsrechte. Übernutzung und fehlendes nachhaltiges Wassermanagement sowie der Klimawandel verschärfen die Situation zusätzlich.

Die Nutzung des Wassers für die Trinkwasserversorgung, für die Landwirtschaft, Energiegewinnung, Schifffahrt, Fischerei, Tourismus etc. hat Auswirkungen auf die aneinandergrenzenden Staaten. Sie stehen in gegenseitigem Wettbewerb um die Nutzung. Damit die Nutzung nachhaltig ist, braucht es sowohl die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Westafrika als auch von lokalen territorialen Vertretern im grenzüberschreitenden Kontext.

Woran arbeitet die Schweiz zusammen mit den Ländern in Westafrika in der Bewältigung der Wasser-Probleme?

Das Engagement der Schweiz in Westafrika hat das Ziel, der Bevölkerung Trinkwasserzugang zu ermöglichen, eine nachhaltige Bewässerung in der Landwirtschaft zu schaffen, erneuerbare Energien durch Wasserkraft zu fördern und die wirtschaftliche Entwicklung zum Beispiel in den Bereichen Tourismus oder Schifffahrt voranzutreiben. Nur gemeinsam können wir diese Ziele erreichen.

In der Region engagiert sich die Schweiz zum Beispiel zusammen mit anderen Partnern wie dem Geneva Water Hub durch den Austausch von Know-How und Erfahrungen. Sie unterstützt unter anderem den Prozess für das gemeinsame nachhaltige Wassermanagement an der Grenze zwischen Senegal und Mauretanien. Das in dieser Region vorhandene Grundwasser ist eine strategische Ressource für Gambia, Guinea-Bissau, Mauretanien und Senegal. Die Bevölkerung dieser vier Staaten – insgesamt mehr als 24 Millionen Menschen – ist davon für ihren Zugang zu Trinkwasser und verschiedene landwirtschaftliche und industrielle Nutzung abhängig. Die Schweiz konzentriert sich zusammen mit Partnern wie dem United Nations Capital Development Fund zudem darauf, Anrainerstaaten bei der Entwicklung eines regionalen Master- und Investitionsplans zu unterstützen. Dieser sieht eine integrierte Wasserwirtschaft vor, die für Landwirtschaft, Trinkwasser, Energie, Industrie und Schutz der Ökosysteme genutzt wird und die grenzüberschreitende Verwaltung einschliesst.

Wasser ist Leben, und seine nachhaltige Bewirtschaftung ist wesentlich für Stabilität und Frieden zwischen Gemeinschaften und Staaten.

Am Senegalfluss, der Senegal und Mauretanien trennt, stehen bunt gekleidete Menschen am Ufer.
Die Schweiz unterstützt an der Grenze zwischen Senegal und Mauretanien den Prozess für das gemeinsame nachhaltige Wassermanagement. © EDA
Weshalb ist die Schweiz mit «Blue Peace» in Ländern wie Senegal und dessen angrenzenden Ländern tätig?

Die Schweiz ist ein Wasserschloss mit über 100 Jahren Erfahrung in der lokalen und grenzüberschreitenden Wasserwirtschaft mit ihren Nachbarländern. Allerdings werden 82% des Wasserbedarfs der Schweiz ausserhalb ihres Territoriums für importierte Güter (Kleidung, Textilien, Kaffee, Edelmetalle etc.) verbraucht, und zwar in Gebieten, in denen Dürreperioden und Konflikte um Wasser und seiner Nutzung durch die Bevölkerung, die Landwirtschaft, die Industrie und den Bergbau herrschen.

Deshalb ist Wasser seit langem eine Priorität der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz. Das Engagement der Schweiz in Afrika, wo 80% der Wasserressourcen auf mehrere Länder verteilt sind, entspricht dieser Logik. Wasser ist strategisch wichtig für die regionale Stabilität. Das Engagement der Schweiz im Bereich Wasser zielt darauf ab, Konflikte zu verhindern, die Landflucht zu bremsen und gleichzeitig den Druck auf die Ressourcen in den Städten anzugehen sowie den Menschen und insbesondere der Jugend Perspektiven für die Zukunft zu bieten.

Neben spezifischen Projekten braucht es eine echte «Blue Peace-Bewegung», um diese Herausforderungen anzugehen. Dabei wird auch die jüngere Generation miteinbezogen, indem die Schweiz junge Start-ups mit innovativen Lösungen unterstützt. Zudem fördert sie globale Vereinigungen junger Wasserparlamentarier mit Niederlassungen hier im Senegal und in anderen Staaten Westafrikas.

Der Geist von Basel weist die Zukunft

In Basel markiert der Rhein die Grenzen von Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Das Dreiländereck war nach dem Zweiten Weltkrieg Ausgangspunkt für die grenzüberschreitende Wasserwirtschaft. Die drei Staaten entwickelten ein gemeinsames Wasserkonzept, das für alle funktioniert – sowohl flussaufwärts als auch flussabwärts.

Dasselbe Ziel verfolgt die Blue-Peace-Initiative, eine wachsende globale Bewegung, die darauf abzielt, eine Kultur des Friedens zu entwickeln und wertvolle Süsswasserressourcen zu erhalten. «Blue Peace» fördert kreative und innovative Lösungen von internationalen Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen, Behörden, dem Privatsektor, Forschungsinstituten, Künstlern und jungen Menschen.

Ein Beispiel dafür ist der «Blue Peace Index», der die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im Rahmen von «Tech4Good» mit der «The Economist Intelligence Unit», einem Unternehmen für Prognose- und Beratungsdienste, entwickelte. Der Index untersucht, was zur Verbesserung der Nutzung von grenzüberschreitendem Wasser als Instrument zur Förderung des Friedens getan werden kann.

Auch die Aussenpolitische Vision Schweiz 2028 misst der Wasserdiplomatie der Schweiz eine hohe Bedeutung zu: Sie ist ein wichtiger Faktor an der Schnittstelle zwischen Frieden und Entwicklung. Das Rezept Wasser von einer möglichen Konfliktursache in einen Treiber für Kooperation und Frieden zu wandeln ist zukunftsträchtig.

Zum Anfang