Valentin Zellweger: «Genf ist operationelle Plattform.»

Botschafter Valentin Zellweger im Gespräch.
Botschafter Valentin Zellweger, Chef der Mission der Schweiz bei der UNO in Genf. © EDA

Interview mit Botschafter Valentin Zellweger, Chef der Mission der Schweiz bei der UNO in Genf.

Herr Zellweger, wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen der UNO an ihrem Hauptsitz in New York und ihrem zweitwichtigsten Sitz in Genf vorstellen?

Die Zusammenarbeit zwischen dem Hauptsitz New York und Genf ist gegebenermassen sehr eng, es sind die beiden wichtigsten UNO-Sitze und beide übernehmen Funktionen, die sich gegenseitig ergänzen. Während sich die politischen Gremien der UNO wie die Generalversammlung oder der Sicherheitsrat in New York befinden und dort ihre Entscheide treffen, konzentriert sich Genf vor allem auf die operationellen Aktivitäten. Genf bleibt ein Zentrum für Friedens- und Abrüstungsfragen sowie die Menschenrechte und humanitäre Angelegenheiten. Zunehmend wichtig ist die Umsetzung der Sustainable Development Goals SDG – die Ziele für nachhaltige Entwicklung. Diese Ziele geben den Rahmen vor für eine nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung der Welt und sind damit von zentraler Bedeutung für die UNO.

Gerade im Bereich der SDGs zeigt sich die Arbeitsteilung zwischen New York und Genf exemplarisch: So wurden die Ziele hautpsächlich in New York definiertund deren Weiterentwicklung und Umsetzung wird nun in Genf vorgenommen. Deshalb bezeichnete auch der UNO-Generalsekretär António Guterres Genf als operationelle Plattform der SDGs.

Die Schweiz möchte die Zusammenarbeit zwischen dem Menschenrechtsrat in Genf und dem UNO-Sicherheitsrat in New York intensivieren. Könnte diese Initiative auch Modell für die Kooperation in anderen Bereichen sein?

Die Initiative der Schweiz gründet v.a. auf der Beobachtung, dass massive Menschenrechtsverletzungen oft zu bewaffneten Konflikten führen. Insofern stellen sie einen sehr guten Frühwarnmechanismus dar. Der von der Schweiz initiierte und von über 70 Staaten unterstützte Appell vom letzten Jahr zielt daher darauf ab, dass die hauptsächlich zuständigen Institutionen, der Menschenrechtsrat und der Sicherheitsrat, noch enger zusammenarbeiten.

Dieses Modell bietet sich sicher auch für andere Bereiche an. So wissen wir heute, dass Entwicklung, Frieden, Sicherheit und Menschenrechte sehr eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen. Das führt automatisch dazu, dass auch die verschiedenen Akteure enger zusammenarbeiten und sich besser abstimmen müssen. Deshalb kann man kann sich durchaus vorstellen, dass dies zu ähnlichen Vorstössen für andere Bereiche führen kann.

Was zeichnet den Standort Genf speziell aus, wo liegen seine Stärken und seine Spezifizitäten?

Fast jeder Mensch auf der Erde hat regelmässig mit Ergebnissen der Arbeiten in Genf zu tun. So werden hier weltweite Standards in so verschiedenen Bereichen wie Gesundheit, Arbeit, Strassensicherheit, Umweltschutz und Telekommunikation gesetzt. Man kann daher durchaus sagen, dass in Genf praktische Lösungen für die grossen grenzüberschreitenden Fragen gefunden werden, die von den einzelnen Staaten nicht mehr alleine gelöst werden können.

Daneben bleibt Genf einer der wichtigsten Orte für Friedensgespräche. Allein in letzter Zeit fanden hier Verhandlungen sowohl zu Syrien, Iran wie auch zu Zypern statt. Diese wichtige Funktion wird in einer zunehmend uneinigen Welt in Zukunft wohl eher an Bedeutung gewinnen als verlieren.

Was unternimmt Genf, um seine Rolle in der multilateralen Welt auch in Zukunft spielen zu können?

Die Schweiz ist ein sehr aktiver Gaststaat, der die internationalen Organisationen mit grossem Engagement unterstützt. Wichtig ist einerseits die Hilfe beim Neubau und der Renovation der Gebäude internationaler Organisationen, um diese im wachsenden Standortwettbewerb auch dauerhaft an Genf zu binden.

Die heutigen Herausforderungen lassen sich aber nicht mehr alleine von Regierungen und internationalen Organisationen meistern. Zunehmend sind diese auf eine Zusammenarbeit mit verschiedensten Leistungs- und Ideenträgern angewiesen: Zivilgesellschaft, Privatsektor sowie akademische Institutionen. Als Beispiel kann die Bekämpfung des HIV-Virus angeführt werden, in welcher in den letzten Jahren unter der Führung von UNAIDS in Genf weltweit enorme Fortschritte erzielt wurden. Das wäre ohne enge Abstimmung mit anderen Akteuren nicht möglich gewesen.

Dieser sogenannte Multistakeholder-Ansatz ist heute schon tief verankert in Genf. Als Gaststaat unterstützt die Schweiz diese Entwicklung aktiv und fördert zunehmend auch unabhängige Think Tanks und akademische Institutionen, die wichtige Impulse und Beiträge zur Lösung anstehender Probleme geben. Das betrifft nicht nur die Diskussion über grosse technische Innovationen wie z.B. die Digitalisierung, sondern vor allem auch über deren Auswirkungen auf unser Leben. Wie kann in Zukunft die Sicherheit des Internets gewährleistet werden? Wie wird unsere Arbeit in zwanzig Jahren aufgrund der Robotisierung aussehen? Welche Folgen für die Umwelt und unsere Gesundheit ergeben sich aus neuen Erfindungen? Genf ist gut gerüstet, um diese Herausforderungen von morgen schon heute anzugehen.

Letzte Aktualisierung 26.01.2022

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