«Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis»
Die Arktis leidet besonders stark unter der Klimaerwärmung. Während die indigenen Völker und die lokale Bevölkerung durch das Abschmelzen des Eises unter Druck kommen, gewinnt die Region für andere Staaten wirtschaftlich und geopolitisch an Bedeutung. Als Beobachterin im Arktischen Rat fördert die Schweiz mit ihrem Fachwissen eine friedliche und nachhaltige Entwicklung der Polarregion. Alexandra Baumann, Chefin der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit des EDA, zuständig für Polarfragen äussert sich im Interview.

«Die Schweiz ist durch ihre Polar- und Klimaforschung mit der Polarregion verbunden», sagt Alexandra Baumann, Chefin der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit des EDA. © EDA
Frau Baumann, wieso hat die Arktis global so eine grosse Bedeutung?
Man hört oft den Satz: «Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis» und ich finde ihn sehr treffend. Die Umwälzungen in dieser Region – wie das beschleunigte Abschmelzen des Eises – haben Auswirkungen weit über den Polarkreis hinaus, insbesondere auf den Anstieg des Meeresspiegels. Aber das Gegenteil ist auch wahr: Globale Dynamiken wie der Klimawandel oder die Umweltverschmutzung haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Arktis. Mit der schrittweisen Öffnung der Seewege und dem leichteren Zugang zu Ressourcen wächst das Interesse externer Akteure, darunter auch Grossmächte. Die Arktis ist nicht mehr nur ein abgelegenes Gebiet ganz oben auf der Landkarte, sondern mittlerweile fest in die globalen geopolitischen und wirtschaftlichen Strukturen eingebunden. Dies verstärkt meiner Meinung nach die Notwendigkeit einer wirksamen multilateralen Governance auf der Grundlage des Völkerrechts.
Welches Ziel verfolgt die Schweiz in der Arktis?
Die Schweiz ist historisch durch die Polar- und Klimaforschung eng mit der Region verbunden. Was dort geschieht, hat auch Auswirkungen auf uns: Das Abschmelzen des Eises in der Arktis erinnert an das, was wir in den Alpen beobachten, wie der tragische Zusammenbruch des Birch-Gletschers in Blatten gezeigt hat. Hohe Breitengrade und grosse Höhen sind mit dem gleichen Schicksal konfrontiert.
Als Beobachterin im Arktischen Rat seit 2017 ist es unser Ziel, eine nachhaltige und friedliche Entwicklung der Region zu unterstützen. Wir setzen uns dafür ein, dass politische Entscheidungen im Bewusstsein wissenschaftlicher Erkenntnisse gefällt werden. Aber auch gute Regierungsführung und internationale Zusammenarbeit stehen im Mittelpunkt unseres Engagements.
Die Schweiz hat einen Beobachterstatus im Arktischen Rat, wie kann sie als Beobachterin Einfluss nehmen?
Als Beobachterstaat ist die Schweiz nicht an den Beschlüssen beteiligt, hat aber privilegierten Zugang zu den Diskussionen und Arbeiten der Gruppen des Arktischen Rates. Dieser Status ermöglicht es uns, die Dynamik in der Arktis aus nächster Nähe zu verfolgen: So habe ich kürzlich an der Übergangssitzung zwischen dem norwegischen und dem dänischen Vorsitz teilgenommen, bei der alle Arktis-Anrainerstaaten zu Wort kamen.
Unser Einfluss kommt vor allem durch die Qualität unserer Beiträge zum Tragen. Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind in mehreren Arbeitsgruppen des Rates aktiv und bringen dort ihr anerkanntes Fachwissen ein. Im weiteren Sinne zeichnet sich die Schweiz durch ihre Fähigkeit aus, verschiedene Akteure miteinander zu vernetzen, sowie durch ihr konsequentes Engagement für Multilateralismus und inklusive Zusammenarbeit. Dieser konstruktive Ansatz ermöglicht es uns, auch als Beobachterstaat Einfluss zu nehmen.

Welches sind die besonderen Herausforderungen in der internationalen Zusammenarbeit in der Arktis?
Die internationale Zusammenarbeit in der Arktis steht vor mehreren grossen Herausforderungen. Wohl am sichtbarsten sind die geopolitischen Spannungen, die den multilateralen Dialog und die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit erheblich erschweren. Dies zeigte sich deutlich an der Lähmung des Arktischen Rates nach Beginn des Krieges in der Ukraine. Auch wenn die Arbeitsgruppen ihre Tätigkeit inzwischen wieder aufnehmen konnten, bleibt die Lage fragil. Weiter verändert der Klimawandel die Region tiefgreifend. Er erfordert eine gemeinsame Antwort, doch die Koordinierung zwischen den Akteuren bleibt schwierig. Vor diesem Hintergrund kommen der Science Diplomacy und der internationalen Zusammenarbeit eine besondere Bedeutung zu. Schliesslich ist der Einbezug der indigenen Völker in die Entscheidungsprozesse eine weitere Herausforderung, der Beachtung geschenkt werden muss. Dies ist übrigens eine klar bekräftigte Priorität der derzeitigen dänischen Präsidentschaft des Arktischen Rates.
Der Arktische Rat
Der Arktische Rat ist ein zwischenstaatliches Gremium, das zum Interessensausgleich zwischen den arktischen Staaten und den indigenen Völkern 1996 gegründet wurde.
Neben den fünf Anrainerstaaten des Polarmeeres, Dänemark, Kanada, Norwegen, Russland und den USA sind Island, Schweden und Finnland sowie Organisationen der indigenen Völker feste Mitglieder des Rates. Der Vorsitz des Rates liegt von 2025–2027 bei Dänemark. 13 Staaten, darunter die Schweiz, und diverse internationale Organisationen verfügen über einen Beobachterstatus im Rat.
Der Rat fördert und koordiniert die Zusammenarbeit und Interaktion der arktischen Staaten, indigenen Völker und der lokalen Bevölkerung im Bereich der nachhaltigen Entwicklung und des Klimaschutzes der Region. Zu diesem Zweck hat der Rat Arbeitsgruppen zu den Themen Umweltschutz, Erhalt der Biodiversität, nachhaltige Entwicklung, Gesundheitsschutz, soziale und kulturelle Fragen und Klimaschutz eingerichtet.